APRIL.Argumente.Schulden

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Was sagt OBM Jung?

"Schulden an sich sind ja nichts Schlimmes", sagt Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig im Januar 2007. Und fügt hinzu: "Sie müssen sie nur bedienen können. ... Und 2008, da bin ich mir sicher, haben wir endlich wieder einen ausgeglichenen Haushalt." [4]
"Die Verschuldung der Stadt belastet uns jährlich mit Zinsausgaben von 40 Millionen Euro - eine gewaltige Summe, mit der aber noch kein Euro getilgt ist! Wir müssen also den Haushalt nachhaltig entschulden. Das ist unverzichtbar, um die Handlungs- und Investitionsfähigkeit der Stadt zurückzugewinnen. Ein Blick auf die Situation unserer Kitas, Schulen, Brücken und Straßen macht das sehr schnell klar. Wir brauchen hier dringend Investitionsmittel, um die zum Teil schlechten Verhältnisse spürbar zu verbessern." [1]

Passend zum zunehmenden Erfolg des Bürgerbegehrens machte die folgende Meldung die Runde durch die Medien, um noch einmal die dramatische Finanzlage der Stadt zu unterstreichen:

50 Mill. minus. Rathauschef rechnet für 2008 mit Haushaltsdefizit. Stellenabbau angedroht. (Quelle: LVZ, 24.10.2007)

Wir erinnern und fragen: Was hat es mit diesen Schulden auf sich, wie sind sie entstanden, wie sind sie zu bewerten, wie ist mit ihnen umzugehen?

Die Rolle von Schulden in dieser Gesellschaft

Schulden sind in dieser Gesellschaft etwas Alltägliches, so lange man sie bedienen kann. Gesamtgesellschaftlich bedeuten sie ein Null-Summen-Spiel, denn jeder Schuld steht eine Forderung in gleicher Höhe gegenüber, jedem Schuldner ein (oder mehrere) Gläubiger. Beschränken wir uns auf Investitions- und Umlaufkredite - um die es bei einer Kommune wie Leipzig einzig geht - so stellt ein Gläubiger dem Schuldner Geld zur Verfügung, welches er gerade selbst nicht benötigt, und ermöglicht dem Schuldner damit ein Projekt zu verwirklichen, welches sonst erst deutlich später hätte in Angriff genommen werden können. Gesamtgesellschaftlich erlauben Kredite also die Konzentration der Wirtschaftskraft auf einzelne Projekte und sind damit besonders dann sinnvoll, wenn damit längerfristige Effekte verbunden sind wie etwa beim privaten Hausbau: Es ist sinnvoller, Häuser eins nach dem anderen zu bauen statt alle gleichzeitig anzufangen und mit keinem zum Ende zu kommen.

Schulden bedeuten zeitweisen Verzicht des Gläubigers, sein Geld in Wirtschaftskraft zum eigenen Nutzen zu verwandeln. Dafür erhält er einen Zins, der für Kaufkraftverlust, Belohnung für den zeitweisen Verzicht und Risikoabschirmung steht. Während die ersten beiden Zinsbestandteile von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängen und bei allen Krediten mehr oder weniger gleich sind, schirmt der dritte Bestandteil die Möglichkeit ab, dass der Schuldner insolvent wird und den Kredit nicht zurückzahlen kann. Denn dann kann der Gläubiger auf die Kreditsicherheiten durchgreifen, sich diese aneignen und verwerten, um doch noch zu seinem Geld zu kommen. Die Höhe dieses Risikoaufschlags hängt wesentlich von der "Bonität" des Kreditnehmers ab, also von der allgemeinen Einschätzung, wie wahrscheinlich die Zahlungsunfähigkeit ist und auf welche Sicherheiten und Bürgschaften im Insolvenzfall durchgegriffen werden kann. Da öffentliche Körperschaften wie z.B. Kommunen in ein Netzwerk vielfacher Absicherung eingebunden sind und eigentlich nicht bankrott gehen können, ist deren Bonität sehr gut. Bundes- und Kommunalobligationen sind deshalb im Bankgeschäft erstklassige Sicherheiten und zählen zu den wenig risiko- aber damit auch wenig renditeträchtigen Rentenpapieren. Kredite können deshalb von Kommunen zu Spitzenkonditionen aufgenommen werden.

Wie hoch sind die Schulden Leipzigs?

Was bedeutet "Leipzig hat 950 Mill. Euro Schulden" (Quelle: LVZ, 26.01.2007) und "zahlt jährlich 40 Mill. Euro Zinsen" [1]? Oder ist die Rechnung des Regierungspräsidiums richtig, das von "2.6 Mrd. Euro Gesamtverschuldung, davon 1.6 Mrd. Euro Verbindlichkeiten kommunaler Firmen, 950 Mill. Euro Verbindlichkeiten der Stadt und 50 Mill. Euro Verbindlichkeiten von Eigenbetrieben" (Quelle: LVZ, 25.01.2007) ausgeht, denn man müsse dabei ja auch die Verbindlichkeiten der kommunalen Unternehmen und Beteiligungen hinzurechnen, für die die Kommune ebenfalls gerade stehen muss.

Wie oben ausgeführt, ist die absolute Höhe der Schulden zweitrangig, wenn sie nur dauerhaft bedient werden können. So hat die Stadt Kassel ebenfalls 900 Mill. Euro Schulden, aber nur halb so viele Einwohner wie Leipzig. Deshalb ist deren Situation noch nicht doppelt so dramatisch wie die Leipzigs.

Der Schuldendienst (Zins und Tilgung) muss sich dazu in das operative Geschäft der Einnahmen und Ausgaben einordnen lassen. Dies schränkt natürlich die Handlungsmöglichkeiten ein, aber weder die Stadt Leipzig noch die großen kommunalen Unternehmen haben akute Probleme mit der Bedienung ihrer Schulden - jedenfalls ist davon trotz regelmäßiger externer Betriebsprüfungen bisher nichts in die Presse durchgesickert.

Für eine detaillierte Einschätzung wäre es also erforderlich, für jedes einzelne Rechtssubjekt zunächst einmal eine Bilanz aufzustellen,

  • welche Schulden aufgenommen wurden,
  • aus welchen Mitteln sie bedient werden,
  • ob die Bedienung der Schulden über die Laufzeit gewährleistet ist,
  • wie sich dies auf die allgemeine Handlungsfähigkeit des Unternehmens oder der Körperschaft auswirkt,
  • mit welchen Leistungen die Schulden besichert sind und
  • ob selbst eigene Darlehen ausgereicht wurden.

Eine solch komplexe Rechnung ist aufwändig, erfordert Zugang zu Detaildaten und kann und soll deshalb hier nicht geführt werden. Jedoch lassen sich die großen Posten und Akteure im Leipziger Stadt-Monopoly von über 70 aktiven kommunalen Unternehmen und Beteiligungen (Quelle: [2], für eine Übersicht siehe APRIL.Beteiligungen) aus öffentlichen Verlautbarungen gut rekonstruieren. Dies ist zunächst die Stadt Leipzig mit ihrem Stadthaushalt, weiter die drei großen Stadtfirmen SWL, KWL und LVB, die 1998 aus dem Eigentum der Stadt in die Stadtholding LVV ausgegliedert wurden, die LVV selbst und schließlich die Leipziger Wohnungsbaugesellschaft LWB.

Von diesen Firmen steht derzeit nur die anteilige Privatisierung der SWL auf der Tagesordnung, während dies bei LVB und KWL schwierig wäre - weniger wegen der "großen Bedeutung kommunaler Hoheit über die Wasserressourcen" [2] als schlicht aus dem Grund, dass beide Firmen in Cross-Border-Leasing-Geschäfte verwickelt sind und damit die Stadt dort in Teilen bereits nicht mehr Herr im eigenen Hause ist. Die Privatisierung im Wohnungsbestand soll durch Veräußerungen im Zuge einer Reduktion des LWB-Bestands auf einen Kernbereich erreicht werden, der an Rechtsform und Beteiligungen der dann auf einen Kern geschrumpften LWB nichts ändern würde.

"Ein klares Wort: Die Stadt wird hier keine Gesellschaftsanteile veräußern. Wir behalten 100 Prozent der LWB in unserer Hand. Mit dem Stadtratsbeschluss vom November 2006 wurde ich jedoch beauftragt, den Verkauf von kleineren Beständen der LWB zu prüfen. Dieser Prozess läuft noch." [1]

Wie groß ein solcher Kernbereich sein sollte, ist zwischen den Stadtratsfraktionen der CDU und SPD umstritten; die CDU (insbesondere Kämmerin Kudla und Regierungspräsident Steinbach) hat, assistiert von Stadtrat Morlok (FDP), mehrfach die Privatisierung der LWB gefordert. Umstritten ist weiter die Teilprivatisierung der LVV, wo OBM Jung noch im späten Frühjahr auf die Linie der CDU einschwenkte und auch hier einen Verkaufsbeschluss zügig durchsetzen wollte (Quelle: LVZ, 24.07.2007), nunmehr aber - mit dem Gewicht des Bürgerbegehrens im Rücken - eine eher hinhaltende Taktik fährt, die auf eine Zuspitzung des Konflikts insbesondere mit CDU-Stadtrat Achminow hinausläuft (Quelle: LVZ, 26.10.2007).

Die Stadtkasse

Schauen wir also den Zahlenjongleuren einmal genauer auf die Finger. Die Angaben von OBM Jung (950 Mill. Euro Schulen, 40 Mill. Euro Zinsen) beziehen sich offensichtlich auf die Schuldverträge, die explizit in der Stadtkasse ausgewiesen sind.

Schulden im Stadthaushalt kommen und gehen wie bei jedem anderen Schuldner auch. Werden die Schulden nur lange genug getilgt, dann stehen sie eines Tages bei null und die Verbindlichkeit wird gelöscht. Zins und Tilgung alter Schulden erscheinen im Haushalt auf der Ausgabenseite, wodurch sich der Stand alter Schulden jedes Jahr automatisch verringert. Die planmäßige Kreditaufnahme für neue Großinvestitionen hat die umgekehrte Wirkung. Planmäßiges Schuldenmanagement ist also Teil der strategischen kommunalen Handlungsoptionen und Teil der Bilanz von Einnahmen und Ausgaben. Die beiden wichtigen Parameter sind die Höhe der Verbindlichkeiten als absolute Größe sowie die Nettokreditaufnahme als Dynamik der Verbindlichkeiten.

Bei einer ausgewogenen Bilanz ist dies schon alles. Übersteigen aber die Ausgaben die Einnahmen wie derzeit in Leipzig, so entsteht ein struktureller Fehlbetrag, der ebenfalls durch Aufnahme eines Kredits ausgeglichen werden muss. Dieser ist der Nettokreditaufnahme hinzuzurechnen.

Das Saldo aller Schuldverpflichtungen der Stadt steht derzeit bei etwa 940 Mill. Euro (Quelle: LVZ, 26.10.2007) - bei einem Gesamtvolumen des Haushalts von 1400 Mill. Euro -, die Nettokreditaufnahme ist im Plan 2006 mit 90 Mill. Euro, im Plan 2007 mit 58 Mill. Euro ausgewiesen. Die Haushaltslage ist also durchaus angespannt, was aber weniger mit der Schuldenhöhe als dem generellen Ungleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben der Kommunen zu tun hat. Neben hausgemachten Ungereimtheiten und mit Blick auf die Haushaltslage wenig nachvollziehbaren lokalen Prestigeprojekten sind hierfür vor allem bundes- und landespolitische Weichenstellungen verantwortlich, mit denen einerseits Lasten ohne ausreichende Finanzierung auf die Kommunen übertragen werden, und andererseits Druck zur Privatisierung öffentlicher Leistungen als alltaugliches Heilmittel aufgebaut wird. Hierzu gehören insbesondere die Übertragung von Lasten durch Hartz IV. Diese vielfach gut dokumentierten Prozesse sollen hier nicht ein weiteres Mal dargestellt werden. Verwiesen sei statt dessen etwa auf

Um in einer solch angespannten Lage weiter große Sprünge zu machen - die Großprojekte von OBM Tiefensee, Olympiabewerbung und City-Tunnel, lassen grüßen - operiert die Stadt seit 2003 in größerem Ausmaß mit strukturellen Fehlbeträgen, was die Kommunalfinanzen weiter aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Nach 80 Mill. Euro im Jahre 2003 saldierte dieser Fehlbetrag auf 143 Mill. Euro im Jahre 2005 und geht seitdem wieder leicht zurück. Das Regierungspräsidium drängt darauf, diesen Fehlbetrag möglichst bald ganz auszugleichen.

Neben diesen Schulden sind eigene Darlehen und Bürgschaften zu berücksichtigen. Bürgschaften hat die Stadt vor allem für Forderungen gegenüber der LWB übernommen (etwa 600 Mill. Euro). Diese wurden in den vergangenen Jahren zurückgefahren und werden es weiterhin, indem die LWB neue Kredite anders besichert. Finanzielle Verpflichtungen erwachsen daraus nur, wenn die Bürgschaften fällig werden, was aktuell nicht zu erwarten ist. Allerdings fordert das Regierungspräsidium, dass nach Haushaltsrecht dafür eine Rückstellung von 60 Mill. Euro im Stadthaushalt vorzusehen ist, also Geld in dieser Höhe für den Ernstfall in der Kasse "gebunkert" sein muss, was den kommunalen Handlungsspielraum weiter einengt.

Unter den Darlehen ist vor allem das zu nennen, welches die Stadt 1997 in Höhe von 283.5 Mill. Euro der LVV zum Kauf der Anteile von SWL und KWL gewährt hat (Quelle: LVZ, 11.12.2006). Dieses Darlehen ist tilgungsfrei gestellt, läuft also "ewig", und ist mit 6 % jährlich zu verzinsen. Die daraus resultierende Zinsschuld der LVV gegenüber der Stadtkasse von jährlich 17 Mill. Euro wurde allerdings bisher nie in dieser Höhe beglichen, sondern stets nur in Höhe der real erwirtschafteten Überschüsse der LVV. Für den Rest wurden andere "geldwerte Leistungen" angerechnet. Der Streit über diesen Forderungsverzicht der Stadt (Quelle: LVZ, 11.12.2006) schwelt - der Stadtrat wird von der Stadtverwaltung in dieser Frage weiter hingehalten. Neuere Zahlen (Quelle: LVZ, 01.11.2007) sprechen von einem Restdarlehen in Höhe von 240 Mill. Euro.

Das Saldo aus Darlehen und Verbindlichkeiten der Stadtkasse liegt also bei etwa 700 Mill. Euro. Daran würde auch der Anteilsverkauf der SWL nichts ändern, denn das Geld aus dem Anteilsverkauf fließt der LVV zu. OBM Jung (Quelle: LVZ, 01.11.2007) plant, vom Erlös 320 Mill. Euro in die Stadtkasse zu transferieren und dazu das Darlehen der Stadt an die LVV in Höhe von 240 Mill. Euro auf einen Schlag abzulösen. Unklar ist, wie er die weiteren 80 Mill. Euro steuerfrei in die Stadtkasse transferieren möchte, denn dies ist eigentlich eine Gewinnentnahme eines Eigentümers aus seinem Unternehmen, wofür saftige Steuern anfallen - Herr Steinbrück wird sich freuen. Aber selbst wenn die 320 Mill. Euro in der Stadtkasse ungekürzt ankommen, sollen davon nur 160 Mill. Euro in die Schuldentilgung fließen. Die Stadtkasse wäre nach der Transaktion nominal höher verschuldet als vorher. Die Darlehensablösung würde (in jedem Fall) zugleich die Transferpumpe zerstören, die bisher steuerfreie Geldflüsse aus der Kasse der LVV in die Stadtkasse von bis zu 15 Mill. Euro jährlich ermöglichte.

Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass derselbe finanzielle Effekt für die Stadtkasse auch ohne SWL-Anteilsverkauf erreicht werden kann, indem die LVV das städtische Darlehen durch ein Bankdarlehen ablöst. Die LVV würde danach nicht schlechter dastehen als heute. Vor zwei Jahren wären dafür Bankdarlehen mit einem Zinssatz von 2.5 % zu haben gewesen, was die (nominale) jährliche Zinslast der LVV von 14.6 Mill. Euro auf 6.1 Mill. Euro gesenkt hätte. Natürlich will eine Bank diese Zinsen auch wirklich haben.

Bleibt die Frage nach der zu erwartenden Höhe des strukturellen Haushaltsfehlbetrags, die OBM Jung für 2008 - unter Einrechnung der Privatisierungserlöse - eben schon mal dramatisch mit 50 Mill. Euro in Szene setzt (Quelle: LVZ, 24.10.2007), während der Entschuldungsplan vorsah, dass mit den Zinsersparnissen aus der Privatisierung ab 2008 endlich ein dauerhaft ausgeglichener Haushalt vorgelegt werden kann. Dass Einmaleinnahmen nicht zu einer nachhaltigen Haushaltssanierung beitragen, hat sich vielfach praktisch erwiesen - nicht zuletzt in Leipzig mit den Einnahmen aus der letzten SWL-Privatisierung im Jahre 1998, die weitgehend im Haushalt "versickert" ist. Und auch diesmal zeichnet sich also nichts anderes ab.

Hierfür gibt es vielfache Gründe, hausgemachte ebenso wie bundes- und landespolitische. Um die Dimensionen der Unvorhersagbarkeit zu verdeutlichen, sei nur daran erinnert, dass der Planansatz 2006 von 26 Mill. Euro Defizit ausging, in der Jahresmitte noch mit 15 Mill. Euro Defizit gerechnet wurde, am Ende aber ein Plus von 18 Mill. Euro zu Buche stand. Große Posten auf der Ein- und Ausgabenseite mit hoher und schwer vorhersagbarer Dynamik sind die Sozialausgaben für Hartz IV (2007: 177 Mill. Euro, 2005: 144 Mill. Euro. Von diesen Gesamtausgaben trägt derzeit der Bund 29.1%, eine Reduktion dieses Anteils auf 15% ist in der Diskussion - Quelle: LVZ, 21.09.2006) sowie die Gewerbesteuereinnahmen (2006: 189 Mill. Euro, 2005: 148 Mill. Euro, 2004: 120 Mill. Euro). Die hohe Steigerung der Gewerbesteuereinnahmen kam 2006 für die Stadtverwaltung ebenso überraschend wie die sich verschlechternde Prognose für 2007 und 2008 durch den möglichen Wegfall eines großen Steuerzahlers.

Eine detaillierte Würdigung der für die Schuldendynamik abzusehenden rechtlichen und finanzpolitischen Änderungen auf übergeordneten Ebenen (Forderungen des RP, Auslaufen von Transfers und Förderprogrammen) wird in [3] gegeben und muss hier nicht wiederholt werden.

Die LVV und deren Tochterunternehmen

Die Verbindlichkeiten der LVV werden vom Regierungspräsidium mit 500 Mill. Euro angegeben (Quelle: LVZ, 04.12.2006) und setzen sich im Wesentlichen zusammen aus der oben aufgeführten Darlehensschuld von etwa 240 Mill. Euro an die Stadt und dem Kredit über 200 Mill. Euro, der für den Rückkauf der SWL-Anteile im Jahre 2003 erforderlich war und sind durch das Anlagevermögen von KWL und SWL mehr als ausreichend besichert.

Beide Kredite sollen über den Privatisierungserlös abgelöst werden; weitere Rücklagen aus den Privatisierungseinnahmen sind bei der LVV nicht vorgesehen. Damit würde die LVV zukünftig im operativen Geschäft über eine zusätzliche Liquidität von (geschätzten) 20 Mill. Euro pro Jahr verfügen. Dass Gaz de France mit solchen Summen bei großen Sprüngen mit den Stadtwerken nicht zu begleiten ist, muss nicht extra betont werden.

Die LVV dient derzeit dazu, die Gewinne der SWL (2005 und 2006 je etwa 54 Mill. Euro) und KWL (2005 und 2006 je etwa 23 Mill. Euro) aus ordentlicher Geschäftstätigkeit abzuschöpfen, mit den Verlusten der LVB (2005 und 2006 je etwa 60 Mill. Euro) auszugleichen, weitere eigene Kredite zu bedienen und den Überschuss als Darlehenszinsen (etwa 13 Mill. Euro) sowie als Konzessionsabgabe an die Stadt zu zahlen.

Die LVV wird von der Stadtverwaltung als eine Art eierlegende Wollmilchsau betrachtet, von der immer dann Leistungen erwartet werden, wenn sich Haushaltslöcher auftun. [3] nennt in dem Zusammenhang die folgenden Erwartungen:

  • die Entrichtung von Konzessionsabgaben (Status Quo)
  • die Finanzierung der Leistungen des ÖPNV (Status Quo)
  • die Ratenzahlungen zur Tilgung des Gesellschafterdarlehens der Stadt an die LVV (Status Quo)
  • die Zinszahlungen auf das Gesellschafterdarlehen (Status Quo)
  • Haushaltssicherungsbeiträge von 3 Mio. Euro (2006) bis 7.18 Mio. Euro (2008) (zusätzliche Forderung der Verwaltung)
  • weiter darüber hinausgehende Haushaltssicherungsbeiträge (zusätzliche Forderung der Verwaltung)
  • Zahlungen in Millionenhöhe für Grunddienstbarkeiten (zusätzliche Forderung der Verwaltung)
  • Ausgleich des erheblichen Ausschüttungsdefizits bei einem Anteilsverkauf der SWL (zusätzliche Forderung der Verwaltung)
  • möglichst weitgehende Stabilität in den Preisen für Bürger und Unternehmen

Obwohl die LVV dieser Rolle bisher in hohem Maße gerecht geworden ist - insbesondere wird das gesamte Defizit des ÖPNV auf diesem Wege abgedeckt und belastet die Stadtkasse nicht - hat sich die Stadtverwaltung bisher nicht auf "eigentümergeprägte Oberziele" festlegen können, die Wünschenswertes und Mögliches gegenüberstellen und an denen sich eine strategische Entwicklung der LVV orientieren muss. Statt dessen gibt es "auch in finanzieller Hinsicht kein stringentes Zielkonzept der Stadt für die LVV und ihre Teilunternehmen. Insbesondere ist ein von den Füßen auf den Kopf gestelltes Herangehen zu konstatieren, indem regelmäßig von der Höhe des Haushalts(fehl)bedarfs auf die von der LVV zu erbringenden finanziellen Beiträge geschlossen wird - und zwar ohne dass klar definiert wird, wo die auch langfristige Leistungsfähigkeit der LVV liegt." ([3])

Die ebenda erhobene Forderung, dass "nur der Betrag, der bei seiner Ausschüttung die LVV und ihre Teilunternehmen auch dauerhaft leistungsfähig hält, von der Stadt abgefordert werden darf und muss", ist ein Ausdruck elementarer wirtschaftlicher Vernunft.

Die Querfinanzierung des Defizits im ÖPNV (60 Mill. Euro) ist - auf dem Niveau der Zahlen von 2006 - nach dem SWL-Anteilsverkauf nicht mehr allein aus den Gewinnen von SWL (54/2 = 27 Mill. Euro) und KWL (23 Mill. Euro) möglich, so dass andere Quellen innerhalb der LVV in die Rechnung von OBM Jung einbezogen sein müssen, wenn er verkündet "die Querfinanzierung ist sicher" (Quelle: LVZ, 01.11.2007). Auf belastbare Zahlen ist nicht nur FDP-Stadtrat Morlok (ebenda) gespannt.

Die LWB

Den größten Schuldenberg unter den städtischen Unternehmen von knapp 1 Mrd. Euro (2006: 950 Mill. Euro, 2005: 970 Mill. Euro) schiebt die LWB vor sich her. Die Schulden rühren aus drei Bereichen (Quelle: LWB-Geschäftsführer Stubbe in der LVZ, 04.12.2006):

  • DDR-Altschuldenregelung: Ende 2006 sind von ehedem 500 Mill. Euro noch 220 Mill. Euro an Verpflichtungen offen.
  • Kredite aus der Trabalski-Ära: Bis 1993 wurden unter dem damaligen GF über 347 Mill. Euro Kredite aufgenommen und fehlinvestiert, was die LWB an den Rand der Pleite brachte. Diese wurde durch Stadtbürgschaften verhindert. Zur Erinnerung: Damals wurden massiv Mittel in Häuser investiert, auf denen Restitutionsansprüche lagen. Dies führte nach dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vom 14.01.1994 zu Schulden in Höhe von 429 Mill. DM.
  • Besicherung von Darlehen in Höhe von 150 Mill. Euro durch die SAB, die als Hauptgläubiger der LWB-Kredite besondere Sicherheiten verlangt.

Weitere Kreditverbindlichkeiten in Höhe von 380 Mill. Euro aus 600 Sanierungsdarlehen sind durch Grundbucheinträge abgesichert.

Die Stadtbürgschaften sollen nach Stadtratsbeschluss in den nächsten Jahren von 570 Mill. Euro (Nov. 2006) auf perspektivisch weniger als 300 Mill. Euro reduziert werden (Quelle: LVZ, 04.12.2006). Dies ist jedoch ohne hohe Vorfälligkeitsentschädigungen nur Schritt für Schritt möglich, wenn Kreditbindungen auslaufen und neue Konditionen vereinbart werden können. Dann sollen mehr Kredite über Grundbucheinträge, also durch LWB-eigene Vermögenswerte, abgesichert werden. Für 2007 sah Stubbe Ende 2006 einen Spielraum für eine Senkung um 150 Mill. Euro.

Inzwischen konnten im Rahmen einer Umschuldung der LWB die städtischen Bürgschaften um 170 Mill. Euro (von 569 Mill. Euro auf 399 Mill. Euro) gesenkt werden, indem zwei Kredite über je 235 Mill. Euro bei der Deutschen Bank und der Sächsischen Aufbaubank aufgenommen und damit Altdarlehen in derselben Höhe abgelöst wurden. Von der dabei anfallenden Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 4.8 Mill. Euro hat das Land im Rahmen eines Förderprogramm zur Konsolidierung von Wohnungsunternehmen 4.1 Mill. Euro übernommen (Quelle: LVZ, 12+25.05.2007).

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist also zu sagen, dass das Schuldenmanagement durchaus im Fokus der Überlegungen aller beteiligten Seiten steht. Die Initiativgruppe Bürgerbegehren geht davon aus, dass eine Entschuldung - wie auch die Verschuldung - nur in einem längeren Prozess möglich ist, in dem höhere Einmaleinnahmen für ein Umsteuern eher kontraproduktiv sind. Die großen kommunalen Unternehmen der Daseinsvorsorge - sie sind in der Fragestellung des Bürgerbegehrens explizit aufgezählt - sind die Eckpfeiler eines nachhaltigen Entschuldungskonzepts, wenn sie im kommunalen Interesse steuerbar sind. Dafür ist eine vollständige kommunale Verfügung als Eigentümer eine elementare Voraussetzung.

Quellen

[1] OBM Jung im Leipziger Amtsblatt, 15.09., 29.09., 13.10. Quelle: http://www.leipzig.de/de/buerger/news/10278.shtml

[2] OBM Jung am 18.10. auf einer öffentlichen Veranstaltung der Jusos. Siehe APRIL.2007-10-18

[3] Stadtwerke und die Zukunft der Stadt Leipzig. Stellungnahme der Stadratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, September 2006.

[4] Haushalt 2007: Entscheidung im März, Finale im Dezember. Lizzy-online, 12. Jan 2007