APRIL.2007-12-13
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Werte Mitglieder der SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat
Nun müssen die Stadträte anerkennen, dass mit dem Bürgerbegehren doppelt so viele Unterschriften als notwendig zusammengekommen sind, um ein Bürgentscheid durchzuführen. In einer Beschlussvorlage für den Stadtrat schlägt der Oberbürgermeister Burkhard Jung vor, ein Bürgerentscheid am 27. Januar 2008 durchzuführen. Damit wird die Entscheidung bis zum Ergebnis des Bürgerentscheids aufgeschoben.
Auch wenn der Fall eintreten sollte, dass mit dem Bürgerentscheid nicht die notwendige Mehrheit gegen den Verkauf und Anteilsverkauf von kommunalen Unternehmen der Daseinsvorsorge zustande kommt, heißt es nicht, dass automatisch der Stadtrat endgültig beschließen muss, 49,9% der Stadtwerke zu verkaufen. Denn beim Bürgerentscheid geht es um die allgemeine Frage, ob man dafür ist, dass die kommunalen Unternehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum verbleiben.
Aus einer fehlenden Mehrheit der Bejahung dieser Frage leitet sich nicht automatisch ein Verkauf der Stadtwerke zu 49,9% ab. Die Mitglieder im Stadtrat von Leipzig haben nach wie vor die Verantwortung sich zu entscheiden für oder gegen den Anteilsverkauf der Stadtwerke.
Dies hat uns, Sozialdemokraten, Bürgerinnen und Bürger, dazu bewogen sich mit einem offenen Brief an Euch zu wenden mit der Aufforderung: Stimmt dem Verkauf oder Teilverkauf von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht zu!
Offener Brief von Mitgliedern der SPD an die Leipziger Stadträte der SPD
11.12.2007
Wir, SozialdemokratInnen, Bürgerinnen und Bürger aus Leipzig, müssen mit großer Sorge beobachten, wie die Stadt Leipzig den Anteilsverkauf der Stadtwerke konsequent vorangetrieben hat. Nun ist bekannt, dass das französische Unternehmen Gaz de France 520 Mill. Euro für den Anteilsverkauf bietet. Das recht hohe Kaufangebot soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Probleme und Fragen mit dem Anteilsverkauf verbunden sind, auch gerade weil die hohe Kaufsumme sehr verlockend ist. Hinzu kommen die Probleme mit dem geplanten Verkauf von 25% der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbh (LVV).
Wir wollen nicht, dass darüber hinweg getäuscht wird, was mit den Anteilsverkäufen der Stadtwerke und der LVV auf dem Spiel steht:
Die Stadtwerke Leipzig dienen der öffentlichen Daseinsvorsorge, worauf jeder Bürger und jede Bürgerin der Stadt angewiesen ist. Zusammen mit den anderen Betrieben der LVV sorgen sie
für eine sichere und bezahlbare Bereitstellung von Strom, Fernwärme, Gas, Trinkwasser sowie Abwasser- und Abfallentsorgung und für die Sicherung eines für alle Bürgerinnen und Bürger flächendeckenden bezahlbaren öffentlichen Personennahverkehrs.
Dies wird aber gefährdet, wenn auch nur Anteile dieser Betriebe verkauft werden.
Zudem sind öffentliche Betriebe und Einrichtung öffentliches Eigentum aller Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, die nicht ohne weiteres auch für viel Geld verkauft werden dürfen!
Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt erwarten politische Entscheidungen, die nicht darauf hinauslaufen die öffentliche Daseinsvorsorge und wichtige städtische Einnahmequellen für eine kurzfristige Entschuldungspolitik zu opfern, ohne die eigentlichen Ursachen der Verschuldung zu lösen.
Der hohe Zuspruch des Bürgerbegehrens, den es in kurzer Zeit erhalten hat, bezeugt diese Erwartung.
Als sozialdemokratische Stadträte habt Ihr die politische Verantwortung, diesen Willen der Bürgerinnen und Bürger zu respektieren. Dafür seid ihr gewählt worden!
Wir sind überzeugt, dass der Wille der Mehrheit der Bevölkerung gegen den Anteilsverkauf der Stadtwerke durch einen Bürgerentscheid bekräftigt wird.
Wir fordern deshalb alle sozialdemokratischen Stadträte auf:
- Respektiert und unterstützt den politischen Willen der Bürgerinnen und Bürger.
- Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge müssen zu 100% in kommunaler Hand bleiben!
- Stimmt dem Verkauf oder Teilverkauf von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht zu!
Es gibt viele weitere berechtigte Gründe, die gegen den Verkauf oder Anteilsverkauf von städtischen Unternehmen der öffentlichen Daseinvorsorge sprechen, wir weisen auf unsere beiliegende Darlegung unserer Gründe hin.
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:
Bernd Bahr (SPD), Peter R. Völker (SPD), Bernd Bonneß (SPD), Ursula Wackwitz, Wolfgang Russ (SPD), Cornelia Matzke, Sigrid Scharsisch, Dagmar Horst, Heike Sigmund, Margit Ellrich, Christa Rätder, Hanna Günter, Evelyn Bolte, Kristina Händel
Gründe und Fragen zum Anteilsverkauf
Jeder Abgeordnete des Stadtrates und jeder Entscheidungsträger der Stadt Leipzig, allen voran der Oberbürgermeister Burkhard Jung, muss sich ernsthaft fragen:
Bleiben nicht wesentliche Ursachen der Haushaltsverschuldung trotzt Verkaufserlöse von städtischen Betrieben und Einrichtungen bestehen? . Entpuppt sich der sogenannte „nachhaltige Befreiungsschlag“ des Anteilsverkaufs nicht als „Strohfeuer“?
Die Verkäufe, auch wenn sie eine hohe Summe erzielen, entlasten de zwar den kommunalen Haushalt, aber die strukturellen Haushaltsdefizite bleiben trotz der erwarteten Verkaufserlöse bestehen. Die strukturellen Haushaltsprobleme sind nicht auf kommunaler Ebene verursacht worden, wie z.B. die durch die Hartz-Reform verursachten Ausgaben für Unterkunftskosten der ALG-II-Empfänger. Nach zwei bis drei Jahren steht Leipzig wieder vor dem Problem, einen ausgeglichenen Haushalt zu erstellen. Bereits nach einem Jahr des Verkaufs der Wohnungsgenossenschaft WOBA steht Dresden vor dem Problem einen ausgeglichenen Haushalt zu gestalten. Die Stadt hat zur Finanzierung der kommunalen Aufgaben wieder neue Schulden aufgenommen. Die Haushaltsdefizite können nur durch eine wirkliche umfassende Gemeindefinanzreform gelöst werden.
Wird nicht mit den Anteilsverkäufen der kommunalpolitische Handlungsspielraum der öffentlichen Daseinsvorsorge der Stadt massiv eingeschränkt?
Nimmt man den Beschluss vom 15.11. 2006 ernst, so folgen nach einem Anteilsverkauf der Stadtwerke die Entscheidung des Anteilsverkaufs der LVV. Insgesamt verringert sich die kommunalpolitische Einflussnahme der Stadt auf diese Betriebe. Bei der SWL wird durch den Anteilsverkauf die Stadt an den sogenannten strategischen Partner massiv gebunden. Eine unabhängige Geschäftspolitik nach der sozialpolitischen Aufgabe einer sicheren und bezahlbare Bereitstellung von Strom, Fernwärme, Gas für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt ist bei einem sehr gewichtigen Partner mit 520 Mill. Euro nicht mehr möglich. Und falls in ein paar Jahren der Anteilseigner seine Anteile vollständig an einen Dritten verkauft, so besteht die Gefahr, dass die mühsam ausgehandelten wechselseitigen Verpflichtungen für den Ditten nicht mehr gelten. Die strategische Partnerschaft wäre de facto aufgelöst.
Die sozialdemokratischen Stadträte müssen sich fragen: Entspricht es nicht den sozialpolitischen und sozialdemokratischen Zielsetzungen der SPD die Grundlagen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu verteidigen und abzusichern und deshalb die Entscheidungen für den (Anteils-)Verkauf von der SWL und der LVV kritisch zu überprüfen?
Die Erfahrungen mit Privatisierungen von städtischen Energie- und Versorgungsunternehmen zeigen, dass solche privatisierten Betriebe eine nachhaltige Daseinsvorsorge nicht garantieren. Weil private Betreiber in erster Linie danach bestreben, ihre Renditechancen zu maximieren, müssen die betroffenen Kommunen und ihre Bürger und Bürgerinnen die Gewinne langfristig mit Preissteigerungen finanzieren. Dies erleben wir gerade bei den großen Energiekonzernen im liberalisierten Strommarkt. Das wird mit Gaz de France nicht anders verlaufen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen wird in viele Kommunen, insbesondere in sozialdemokratisch geführten Gemeinden, der Rückkauf von städtischen Betriebe und Unternehmen diskutiert und angestrebt.
Von den Verantwortlichen der Stadt wird uns vorgetragen, dass zum Abbau der Haushaltsdefizite keine bessere Lösung gibt. Aber wir weisen darauf hin, dass andere politische Entscheidungen und Lösungsmöglichkeiten gegen den vorherrschenden ordnungspolitischen Zwang der Privatisierung und der massiven Ausgabenbeschränkungen seitens der EU und der Bundespolitik erstritten werden müssen.
Die Lösung der Haushaltsprobleme der Stadt sowie nachhaltige Absicherung der kommunalen Daseinsversorgung verlangen
- eine umfassende Gemeindefinanzreform zugunsten der Kommunen
- Übernahme aller Folgekosten der „Hartz-Reformen“ durch den Bund bzw. Aufhebung der schlimmsten Maßnahmen der „Hartz-Reformen“, die zu Armut und finanziellen Mehrbellastungen der kommunalen Haushalte führen.