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09.10.2006 / Kapital & Arbeit / Seite 9
DGB-Häuser zum Verkauf
Gewerkschaftsbund will seine ostdeutschen Immobilien veräußern. Protest an der Basis Von Nick Brauns
Für Entsetzen unter ostdeutschen Gewerkschaftern sorgt die Ankündigung des DGB, sich von einem Großteil seiner Häuser in den neuen Bundesländern zu trennen. In einem zum Verkauf vorgesehenen Paket von 46 Immobilien befinden sich unter anderem die Gewerkschaftshäuser in Dresden, Leipzig, Chemitz, Magdeburg, Rostock, Zwickau, Bautzen, Jena, Suhl und Cottbus. Demgegenüber soll lediglich ein westdeutsches Gewerkschaftshaus in Hannover zum Verkauf kommen.
In zahlreichen Briefen und Anrufen haben besorgte DGB-Mitglieder ihren Protest zum Ausdruck gebracht. Für die Arbeiterbewegung hätten diese häufig vor 100 Jahren mit »Groschen der Arbeiter« erbauten Gebäude einen hohen Symbolwert, heißt es in einem Scheiben ostdeutscher Gewerkschaftsmitglieder an den DGB-Bundesvorstand. Diese Tradition lasse sich nicht einfach privatisieren, erklärte Thüringens DGB-Chef Steffen Lemme im Mitteldeutschen Rundfunk – und kündigte Widerstand gegen das Vorhaben an. Der Leipziger DGB-Vorsitzende Bernd Günther zeigte sich gegenüber junge Welt irritiert, daß er vom Beschluß der DGB-Führung erst über die Immobilienverwaltung erfahren habe.
Nach dem Ausstieg aus finanzwirtschaftlichen Beteiligungen wie der Volksfürsorge und der Bank für Gemeinwirtschaft wolle sich der DGB jetzt auch von der Gesellschaft für Gewerbeimmobilien (GGI) trennen, bestätigte ein Sprecher der Gewerkschaftsholding BGAG gegenüber der Leipziger Volkszeitung. Die GGI verwaltet Häuser und Grundstücke, die der DGB nach dem Ende der DDR aus dem dortigen Gewerkschaftsvermögen erhielt. Zum Verkauf stehen 46 Objekte mit einer Gesamtfläche von 192000 Quadratmetern. Wünschenswert sei der Verkauf der oft in zentralen Citylagen angesiedelten Grundstücke bis Ende 2007, so der BGAG-Sprecher.
Der deutsche Immobilienmarkt boomt zur Zeit, und zumeist ausländische Finanzinvestoren haben Milliarden in deutsche Wohn- und Gewerbeimmobilien gesteckt. An der Gewerkschaftsbasis werden nun Befürchtungen laut, die Traditionsimmobilien könnten in den Besitz großer US-amerikanischer und britischer Fondsgesellschaften geraten – so wie die gewerkschaftseigene Baubecon mit rund 20000 Wohnungen im vergangenen Jahr für eine Milliarde Euro an eine US-Beteiligungsgesellschaft und die marode Hypothekenbank AHBR an den US-Finanzinvestor Lone Star verkauft wurden.
Nach einem Treffen mit ostdeutschen Gewerkschaftsfunktionären will DGB-Chef Michael Sommer nun prüfen lassen, ob sich die ostdeutschen Häuser aus dem zum Verkauf stehenden Immobilienpaketen herauslösen lassen. »Wir sind zuversichtlich, daß klug entschieden wird«, so der Leipziger DGB-Vorsitzende Bernd Günther. Man werde alles tun, um die Häuser im Besitz des DGB zu halten, denn es gehe »nicht nur um die Tradition, sondern auch um die Zukunft und Heimat der Gewerkschaftsbewegung«. Sollte die DGB-Führung nicht einlenken, wollen die Leipziger Gewerkschafter mit Unterschriftenlisten und Mahnwachen gegen den Verkauf protestieren, denn »jede Trutzburg hat Mittel, sich zu wehren«.
Das Leipziger Volkshaus
Unter den für den Verkauf vorgesehenen DGB-eigenen Immobilien hat insbesondere das vor 100 Jahren eröffnete Volkshaus in der Leipziger Karl-Liebknecht-Straße symbolische Bedeutung. Wie kaum ein anderes spiegelt dieses Gebäude die wechselvolle Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik wieder.
1905 legten Gewerkschaften, SPD und Leipziger Arbeiterverein in der damaligen Zeitzer Straße den Grundstein für den Bau eines der größten Volkshäuser in Europa. Bereits ein Jahr später zog der Verband der Holzarbeiter als erste Gewerkschaft in das fertige Haus ein. Neben Büros beherbergte es Lokale, Veranstaltungsräume, die Zentralbibliothek und Übernachtungsmöglichkeiten. Während der Novemberrevolution 1918 gründete sich im zugehörigen Volksgarten der Leipziger Arbeiter- und Soldatenrat. Im Gefolge des monarchistischen Kapp-Putsches 1920 zerstörten Reichswehreinheiten das Gebäude durch Brandstiftung vollständig. Mit den Spenden in- und ausländischer Gewerkschaften wurde das Haus neu errichtet und am 1. Mai 1923 unter Anwesenheit von 50 000 Demonstranten eingeweiht. Die in die Fassade eingemeißelte Losung »Trotz alledem« stand für die Solidarität und Einsatzbereitschaft der Leipziger Arbeiterschaft, die sich weder durch Krieg noch Konterrevolution von ihrem Ziel abbringen ließ.
Am 2. Mai 1933 besetzte die SA das Volkshaus und verhaftete die Gewerkschaftsfunktionäre. Neuer Eigentümer wurde die faschistische Deutsche Arbeitsfront. 1945 wurde das Haus bei einem Bombenangriff zerstört. Nach vierjährigem Wiederaufbau übernahm der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund es unter dem Namen Ernst-Thälmann-Haus. Während des Aufstandes 1953 wurde auch das Gewerkschaftshaus von wütenden Demonstranten attackiert. Nach dem Zusammenbruch der DDR zogen 1990 die Einzelgewerkschaften des DGB in das Volkshaus ein.