WAK.MB-Debatte.5-08-JN
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Beitrag aus dem Mitteilungsblatt 5-2008 des Stadtverbands der Linkspartei
Was bewegt (junge) Menschen, am 1. Mai nicht nur nicht zur traditionellen Gewerkschafts-Manifestation zu gehen, sondern auch noch mit einer politischen Aktion zu intervenieren?
„Wach auf du junge Garde des Proletariats“, so tönte es aus dem Lautsprecherfahrzeug der IG Metall, als sich am 1. Mai recht früh am Morgen um die 200 Menschen am Connewitzer Kreuz zum Demonstrationszug formierten. Kein motivierender Redebeitrag, der die aktuellen Debatten um zunehmend prekäre Arbeit, um aktuelle Lohnkämpfe, um den wachsenden Druck auf Erwerbslose aufgriff, nein, ausschließlich das alte Liederrepertoire begleitete den Zug akustisch. Nicht nur kulturell ist die alljährliche Maimanifestation für interessierte und kritische jüngere Leute oder die nicht mehr neue, dafür aber permanent wachsende soziale Gruppe der „Prekären“ oder/und Multi-Minijobbenden nicht besonders ansprechend. Die Zelebration von Erwerbsarbeit als Allheilmittel, wie es die 1. Maidemonstration mittels Beschallung, Transparenten und Schildern spiegelt, wird in gesellschaftspolitischen Debatten zunehmend kritisch betrachtet. Der beunruhigende Trend zu prekären Arbeitsverhältnissen dürfte die These, dass Erwerbsarbeit vor Armut schützt, offensichtlich widerlegen.
Auch wenn die Arbeitsagentur dieser Tage positive Trends auf dem deutschen Arbeitsmarkt verkündet oder der Bundesarbeitsminister sogar die baldige Realisierung der Vollbeschäftigung prognostiziert, kann nicht ausgeblendet werden, dass diese Vollbeschäftigung auf der Ausweitung des Billiglohnsektors basiert. Die permanente Vernichtung von Arbeitsplätzen ist zudem die Kehrseite des modernen, technologiebasierten Kapitalismus. Ein Blick auf die „Reservearmee des Kapitals“, die bei 3,4 Millionen plus 1,6 Millionen (Laut Ulrich Walwei, Vize-Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), kommt zur Zahl der offiziell erfassten Erwerbsarbeitslosen eine so genannte „Stille Reserve“ derer, die sich nicht arbeitslos melden.) bundesweit und bei einer Zahl von 64.366 in Leipzig liegt, die wachsende Zahl prekär Beschäftigter oder unentgeltlich tätiger PraktikantInnen dürfte dabei Bände sprechen. 6,5 % aller 247.000 sozialversichert beschäftigten LeipzigerInnen waren laut dem örtlichen DGB zum Dezember 2007 Hartz-IV-AufstockerInnen, hinzu kommen MinijobberInnen und Selbständige, die nur mittels staatlichen Zusatzleistungen ihre Existenz sichern können.
Fernab der Zahlen-Placebos und Motivationsparolen von verantwortlichen PolitikerInnen braucht es vor diesem Hintergrund - gerade in der Linken - grundsätzliche Debatten um die auf Ausbeutung von Arbeitskraft basierende kapitalistische Wirtschaftsweise und deren Zukunftsfähigkeit. Dies schließt die Sinnfrage nach dem „Wert“ eines menschlichen Lebens ein: berechtigt erst Erwerbsarbeit zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Reproduktion? Stehen dem Menschen nicht „weil er ein Mensch“ ist essentielle Leistungen zu? Welche Arbeit muss für eine nicht-kapitalistisch organisierte Gesellschaft aufgewendet und wie sollte diese gesellschaftliche Reproduktionsarbeit organisiert werden? Die jungen Leute, die sich in Leipzig am 1. Mai der Gewerkschaftsdemonstration entgegensetzten, woll(t)en - in einer wohl streitbaren Form, nämlich mit einer Liegestuhl-Blockade, die symbolisch für einen Lebensanspruch steht, der sich nicht aus Erwerbsarbeitszwang speist - genau diese Fragen aufwerfen. Sie sehen in der Kritik der kapitalistischen Erwerbsarbeit und dem zugehörigen Arbeitsfetisch „eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Gesellschaftskritik, welche den Weg hin zu einer befreiten Gesellschaft möglich macht“. Diese Perspektive schließt soziale Proteste und Engagement für die Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen keineswegs aus. Es geht im Gegenteil um die Verschränkung von beiden Aspekten, darum auch im realpolitischen Raum, linke Gesellschaftskritik und -visionen nicht aus dem Blick zu verlieren.
„Niemand muß dich extra zwingen, wenn du selber mitmachst. Niemand muß dich gleichschalten, wenn du dich selber gleichsetzt, um auf dem Markt zu konkurrieren und dich vergleichen zu können, um zu den Siegern und nicht zu den Verlieren zu gehören.“ so könnte die sinnige Begleitmusik einer linken Mai-Demo heute beispielsweise lauten.
Juliane Nagel