WAK.Debatte.Koehler-2009-03-24
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WAW zu Horst Köhlers Berliner Rede.2009-03-24
(am 24.03.2009)
Holla – spricht da ein neues Attac-Mitglied? Hat sich Horst Köhler bei jenen Ökonomen eingereiht, über die im letzten Jahrzehnt Kübel von Hohn geschüttet wurden? Ist ein Saulus zum Paulus wundersam gewandelt – oder war ein Paulus so lange als Saulus mißverstanden?
Wie dem auch sei. Horst Köhler hat viele gewichtige Feststellungen zwar nicht erfunden, wohl aber wirksam gebündelt. Und er ist nicht bei analytischen Sätzen stehen geblieben. Er hat Forderungen gestellt, z.T. recht präzise Forderungen nach innen und außen. Sie werden geprüft werden, hier Zustimmung und da Ablehnung erfahren. Die nächsten Tage zeigen es. Die Rede eines wilden Neoliberalisten aber ist das jedenfalls nicht, eines Allwissenden auch nicht. Sie scheint aus Studium und Nachdenklichkeit hervorgegangen.
Dennoch: Horst Köhler dürfte bewußt sein, daß hinter der allgemeinen verblüfften Zustimmung der ersten Stunde fundamentales Mißtrauen lauert, und zwar von allen Seiten. Ist das nicht etwas reichlich „populistische“ Kritik, moralisierender Ruck-Appell, doch etwas wenig Selbstkritik zur zu Ende gehenden Wahlperiode als Staatsoberhaupt? Muß man das nicht notgedrungen als (glänzende) Wahlrede sehen – für sich selbst und für Angelika Merkels sich modernisierende CDU? „Mein Gott – der glaubt die Hälfte doch selbst nicht.“ „Der weiß doch genau, wie das am elitären Management abperlt.“ Und vielleicht am sachlichsten: Warum erst jetzt, da das Kind in den Brunnen gefallen ist? Weil das Leben die bestraft, die zu früh kommen?
Wir sollten gut beraten sein, wenn wir das alles zwar im Hinterkopf behalten, jedoch nicht auf den Markt tragen und schon gar nicht in die Arena. Es wird schon unter den Eliten – die ja wohl vor allem gemeint sind - genügend Leute geben, die sich ihnen Genehmes herausgreifen und gegen die jeweils anderen kehren. Das ist eingeübt. Und die Umverteilung von unten nach oben wie auch die Umorientierung vom „rheinischen Kapitalismus“ auf das globale Casino enden nicht mit einer noch so treffenden Präsidentenrede!
Horst Köhler hat richtige Feststellungen getroffen und notwendige Forderungen formuliert. Nehmen wir ihn beim Wort und fördern wir Begreifen und Zustimmung. Die zutreffenden Aussagen und Anforderungen sind neu zwar nur aus diesem Amte, doch für eben dieses fast revolutionär. Alles kommt auf die anstehenden Entscheidungen an und auf das aus ihnen folgende Tun. Wird es wie gewohnt den ökonomisch und politisch bestimmenden Eliten zugute kommen oder tatsächlich allen Beteiligten am Wirtschaftsprozeß (= “der Wirtschaft“), unserem Land, Europa und sogar Afrika und der übrigen Welt?
Verständigung zu den innen- und außenpolitischen Prioritäten, die sich aus dieser Rede ergeben, ist dringend erforderlich. Das schließt Verständigung ein zu neuen finanzpolitischen Regeln in Deutschland, Europa und global - sowie die Herausbildung des Willens, diese auch gegen heftigen Widerstand der benannten Hauptschadensverursacher durchzusetzen. Was wiederum nicht ohne Verzicht auf Staatseinsatz für einseitige Interessen des „eigenen Kapitals“ möglich ist. Der Appell an die deutschen Ingenieure verlangt, die ihnen durch kurzfristige Renditeorientierung auferlegten Bremsen und Fesseln zu lösen und die Mitarbeit an der beschworenen „ökologischen industriellen Revolution“ zu ermöglichen. Die wären zu stimulieren - nicht Finanzspekulationen. Ja, diese Rede ist Absatz für Absatz durchzugehen und auf ihre Konsequenzen abzuklopfen.
Dabei sollten auch bisher vergessene Fragen zur Sprache kommen, wenn sie Problemlösungen befördern. So ist es ja beispielsweise „ansprechend“, wenn neuerdings Manager auf moralisch höchst zweifelhafte Boni verzichten; es mag im Einzelfall anerkennenwerte Selbstüberwindung kosten. Doch muß nicht endlich auch rechtlich geprüft werden, welche Managerverträge „sittenwidrig“ sind und deshalb eben nicht rechtsverbindlich? Daß sittenwidrige Verträge rechtsungültig sind, wird doch in weniger brisanten Zusammenhängen nicht bestritten. Aber nicht nur Boni, auch immer phantastischere Managergehälter widersprechen dem sittlichen Empfinden der großen Bürgermehrheit längst und zutiefst. Das kann jede einschlägige Befragung sofort belegen - sobald man diese Frage für die öffentliche Diskussion freigibt. Gutes Geld auch für gute Managerarbeit, gewiß! Aber erstens nicht, was sie „gutes Geld“ nennen, für haftungsfreie schlechte Managerarbeit und zweitens kein „gutes Geld“ in Phantasiehöhen - auf Kosten z.B. von Forschung und Entwicklung und letztlich von Unternehmensexistenzen. Verträge, die nach den Parolen „Gier ist geil!“ und „Nach uns die Sintflut!“ gestrickt sind, müssen aufgehoben werden. Daran sollten Manager, die Horst Köhler zustimmen, mitwirken, und daran sollte ihre sozial-moralische Lernfähigkeit gemessen werden – auch und gerade wegen internationalen „Gehirneraubs“. Für das geforderte Verantwortungsbewußtsein gibt es sehr reale Meßfaktoren!
Welche Gesichtspunkte auch immer mitgewirkt haben bei der Formulierung dieser Rede und welche vielleicht auch unerwünschten Risiken und Nebenwirkungen mit ihr verbunden sein mögen: Wenn auch diese Krise wirklich Chancen birgt, dann sollte versucht werden, sie auf dem hier ausgedrückten Weg zu realisieren. Denn da gilt wohl nun tatsächlich mal das TINA-Prinzip. Es gibt dazu gegenwärtig keine (vernünftigere) Alternative.
(W.A.W. - 24.03.09)