WAK.Debatte.Grundeinkommen.2009-02-25-JS

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Gedanken zur Diskussion über ein Grundeinkommen (GE) für alle Bürger in Deutschland

von Hannes S., Leipzig, 25.02.2009

Ein Gespenstchen geht um in Europa, das eines Grundeinkommens für alle Bürger. Im Gegensatz zu 1848 gibt es aber keine heilige Hetzjagd der Mächtigen darauf, sondern eine merkwürdige Allianz von Milliardären bis Habenichtsen, Intellektuellen bis eher Unbedarften, Linken und Rechten, um für diese Idee zu werben. Wenn über etwas so breit und häufig und von so ernsthaften Leuten diskutiert wird, muss doch was dran sein, muss man selbst einer Fehleinschätzung, dass es Wichtigeres gäbe und die Diskussion über ein GE nur von diesem Wichtigeren ablenken würde, erlegen sein. Ich habe für mich deshalb noch einmal in Form von thesenartigen Schritten meine Argumente gegen die derzeitige Diskussion eines GE, gleich in welcher Ausprägung und Form, zusammengefasst.

Ein Grundeinkommen für alle Bürger, sei es "bedingungslos" (BGE), wie besonders von Linken gefordert, oder an Bedingungen geknüpft, kann nur Teil eines umfassenden Systems sein und deshalb nur im Zusammenhang mit Produktionsverhältnissen, sozial-ökonomischen Bedingungen, Herrschaftsstrukturen und Interessenlagen, Rechts- und Bildungssystemen, den Medien und, last not least, dem Steuersystem gesehen, diskutiert und verstanden werden.

Eine Veränderung des Verteilungsmodus der Zugewinne des Nationaleinkommens oder auch die Umverteilung bestehender Vermögensverhältnisse, wie zur Finanzierung eines GE notwendig, hätten Einfluss auf alle vorgenannten Bereiche, oder umfassender: Voraussetzungen zur Einführung eines GE wären gewaltige gesellschaftliche Veränderungen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in einen Zustand hinein entwickelt, in dem selbst kleine Veränderungen nicht mehr möglich erscheinen. Die Einführung nur eines Dosenpfandes beschäftigte jahrelang Exekutive, Legislative, Medien bis hin zu den Gerichten. Eine dringend notwendige Bildungsreform scheitert an den Partikular-Interessen der Länder, die sogenannte Gesundheitsreform wird am Ende nur noch von Politikern akzeptiert, an (...) Finanz- und Steuerreformen ist nicht zu denken, bzw. nur in systemkonformen und den derzeitigen Verteilungsmodus stabilisierenden Varianten. Um nur einige Felder zu nennen.

Ergo: Mit dieser Republik lässt sich ein GE, gleich in welcher Form, nicht machen.

Es gibt keine Alternative zu Veränderungen mit demokratischen Mitteln. Revolutionäre Situationen, also gewaltsame Umbrüche, sind weder realistisch noch erstrebenswert. Für Zusammenbrüche, wie sie derzeit nicht mehr undenkbar erscheinen, gilt ähnliches. Das wird mit Sicherheit Widerspruch provozieren, ist aber ein anderes Feld und sollte einfach mal so stehen bleiben.

Demokratie ist jedoch nicht gleich Demokratie. Der derzeitige Zustand, geprägt durch Lobbyismus, parteilichen Proporzdenken und Abbau demokratischer Möglichkeiten auf allen Ebenen, ist nicht zu akzeptieren. Neue Formen direkter Einflussnahme und Mitwirkung, wie Beispiele besonders auf regionalen Ebenen zeigen, sind möglich, durchsetzbar und müssen auf Bundesebene übertragen werden. Die derzeitige Krise ist eine Möglichkeit, die genutzt werden kann und muss. Beispiel: Die Zugeständnisse der Schäffler-Gruppe an die Gewerkschaften.

Ergo: Gesellschaftliche Veränderungen sind notwendig, aber nur über einen langen Zeitraum denkbar.

Gesellschaftliche Veränderungen, die die Einführung eines GE ermöglichen würden, sind nicht in einem Land, nicht einmal in einem Staatenbund wie der EU, isoliert durchsetzbar. Die derzeitig global agierenden Konkurrenz- und Wettbewerbsgesellschaften würden die mittelfristig anzunehmenden Wettbewerbsnachteile einer Zone, die mit solidarischen Ökonomien experimentiert, erbarmungslos zur Durchsetzung eigener Interessen ausnutzen. Ein Staatenbund, dem es gelungen ist, solche Systeme aufzubauen, müsste sich in einem solchen repressiven Maß gegen Außen abschotten, dass er jeden Anspruch auf Beispielhaftigkeit verlöre.

Die Einführung eines BGE hätte gewaltige soziale und sozial-psychologische Auswirkungen. Es sind nicht zuvorderst die fehlenden materiellen Mittel, die ALG II-Empfänger beklagen, sondern fehlende Teilhabe und Anerkennung außerhalb der Arbeitswelt und Gesellschaft. "Kein Glück ohne Leistung" las ich einmal bei Joachim Fest und dem stimme ich voll zu. Mit dem BGE käme die Notwendigkeit der Organisation einer parallelen Arbeitswelt auf uns zu. Also für die, die sich entschieden haben ohne Lohnarbeit zu leben oder auch die, die in der weiter existierenden "ersten" Arbeitswelt nicht gebraucht werden. Wie immer dort Arbeit definiert wird, sie muss notwendig und sinnvoll sein und Merkmale von Leistung, nämlich fordernd, spannungsvoll und Erfolg versprechend zu sein, in sich tragen. Sie muss Freude machen und öffentliche Anerkennung unterschiedlichster Art erfahren. Schon aus diesem kleinen Ausschnitt sollte erkennbar werden, wie unsinnig die abgehobene Diskussion über ein BGE ohne die Erörterung der dazu gehörenden ((kapitalistischen)) Gesellschaft ist.

Die gegenwärtige Finanz- u. Wirtschaftskrise verdeckt zeitweise, dass die eigentlichen globalen Gefährdungen und Herausforderungen, wie das Ende der fossilen Energieversorgung und anderer Ressourcen, die durch Co<math>_2</math> und Klima zu erwartenden katastrophalen Veränderungen ganzer Zonen, Hunger und Überbevölkerung, hinter der durch den Finanz-Crash verursachten gewaltigen Staubwolke noch lauern. Die Diskussion, wie eine Gesellschaft beschaffen sein muss, die diesen Herausforderungen gewachsen ist, muss verstärkt geführt werden. Das Thema BGE erscheint in diesem Zusammenhang, als ob zwei Bauern ein Pferd kaufen wollten und sich unentwegt über die wünschenswerte Beschaffenheit des Schwanzes streiten.

Wenn etwas Gutes zur Diskussion über ein BGE gesagt werden kann, dann vielleicht, dass es ein Einstiegsthema für eine Debatte zu notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen sein kann. Von welcher Ecke dieser Disput begonnen wird, ist eigentlich zweitrangig. Wichtig ist, dass er bei den Kernfragen landet, von denen einige ich versucht habe anzusprechen.