WAK.2010-08-04
Home Hauptseite > WAK > WAK.Debatte > WAK.Debatte.Herrschaftsmethoden + GdMKK.KritischerSalon
Charity als Machttechnik am Beispiel des "Tafel e.V."
- Datum: Mi, 4. August 2010, 19.30 Uhr
- Ort: B 12 (Braustraße)
- Referent: Florian Krahmer, Leipzig
Ankündigung
Von der Theorie Michel Foucaults ausgehend, wird analysiert, wie sich Machttechniken entwickeln. Es wird dabei angenommen, dass mit der Produktivkraft Entwicklung in einer Gesellschaft auch die Machttechniken ... einer solchen Entwicklung unterliegen, speziell im Kapitalismus werden sie ökonomisch immer effizienter. Die Verfeinerung dieser Techniken, lässt sich beschreiben, als ein Übergang von einem Machtmechanismus, in dem der Souverän im Mittelpunkt steht und die Bevölkerung durch ein Schauspiel von Machtexempeln beherrscht wird, hin zu einer Gesellschaft, in der sich das Individuum im Zentrum befindet, welches sich durch Selbstdisziplinierung und Selbstführung einer Macht unterwirft, die es höchstens unterbewusst oder mystifiziert (darunter fällt auch der Begriff: Sachzwang) wahrnimmt. Um Selbstdisziplinierung wirksam werden zu lassen, bedarf es jedoch bestimmter Institutionen und Instrumente, Charity ist eines. Dies soll belegt werden, zum einen anhand der Rolle, die Charity in der neoliberalen Evolutionstheorie der Gesellschaft spielt und zum anderen anhand einiger Mechanismen die in der Praxis der „Tafel e.V.“ zu beobachten sind.
Dieses Referat geht beschreibend, von diversen Theorien aus und nicht empirisch induktiv. Es ist klar, dass diese Methode einige Gefahren birgt und natürlich die Realität nicht 100% wiedergeben kann, was jedoch kein Problem sein sollte und jener Methode auch ihre Berechtigung in einer kritischen Theorie gibt, solang dieses Vorgehen, und seine Grenzen, offen benannt und mit bedacht werden.
Literatur u.a.:
- Friedrich Hayek: „Recht, Gesetz und Freiheit“
- Michel Foucault: „Geschichte der Gouvernementalität“
- Herbert Schui: „Wollte ihr den totalen Markt“
- Stefan Selke: „Fast ganz unten“
Quelle: http://www.facebook.com/event.php?eid=137915546242270&ref=mf
Bericht
Die im Verlauf des Vortrags durch den Referenten vorgebrachten Thesen ergänzen (in zunächst untypische erscheinender Weise) die Debatte um sich bedingende Macht- als auch Herrschaftsformen, die allerdings einer stetigen Anpassung durch die jeweils ausübenden (Privat)Institutionen unterworfen sind. Krahmer arbeitete in seinem Vortrag ansatzweise heraus, daß Charity keineswegs eine ausschliesslich solidarisch bestimmte Leithandlung nach ethischen und moralischen Grundsätzen ist. Ihm ging es vielmehr darum zu verdeutlichen, daß Charity als Machtinstrument einer geplanten Reihenfolge einer sozial-defensiven Politikorientierung gebraucht werden kann. Dabei, so verkürzt die These, geht es im wesentlichen darum, effizient und im Sinne einer wenig widerstandsbelasteten Hierarchsierung staatstypischer arbeits- und entlohnungsökonomischer Prozesse Kontrolle im vertretbaren Umfang an loyale Vertreter ohne den gleichzeitige Verlust ideologischer Grundlinien abzugeben. Das Gegebene (Gespendete) entpuppt sich hierbei nicht als Zugabe, sondern als Überrest der Konsumgesellschaft, dessen Vernichtung (Überflußgesellschaft) mit dem Nebeneffekten der Steuerersparnis (Spender) und der wenigstens kostendeckenden Weitergabe (Vermittler) an den Empfänger verhindert wird. Zum Einen entsteht - so stellte sich im Laufe der anschließenden Diskussion heraus - dadurch sowohl ein unmittelbarer physischer Druck (zentrale Einrichtung der Vermittlungsstelle, Beschaffung aller Nachweispapiere) als auch zum Anderen ein mittelbarer psychischer Zwang auf den Empfänger (Offenlegung seiner Verhältnisse, Einordnung in ein bestimmtes Raster). Dennoch besteht weiterhin Diskussionsbedarf darüber, ob die hierin ausgeübte Macht, weil als unschädlich (spendabel) angesehen, überhaupt praktische Anwendung findet und zudem steht keine aussichtsreiche Lösung für das Dilemma bereit, trotz möglicher Erkenntnisse über ein Charity-Macht-Verhältnis den Betroffenen zu helfen. Außerdem wurde festgestellt, daß bereits bei der Aufteilung der Rechte zur Verwertung solcher Überschüsse ein Machtgebrauch zutage tritt (Gründung und Beauftragung von Trägern). Tafel e.V. allerdings legt selbst fest, ob ein Träger in einem bestimmten Gebiet den Namen "Tafel" verwenden kann und ob der dort jeweils umgesetzte Zweck u.a. denen des Bundesverbandes von "Tafel" entspricht. Nicht ausgeschlossen werden jedoch kann, daß durch die abgetretene Verteilung von Grundnahrungsmitteln (im Sinne eines Grundrechtes) offenbar von einem Machtgebrauch gesprochen werden kann, da es sich eigentlich um ein ein Verfassungsrecht (...Menschenrecht) handelt, dessen Erfüllung keiner Beliebigkeit entspringen sollte. Da es sich um eine weitgehend neu eröffnete Untersuchungsstrecke handeln dürfte, bot die Veranstaltung einen guten Aufmacher, um Entwicklungen in diesem Bereich aufmerksamer zu verfolgen und an anderer Stelle fortgesetzt zu diskutieren.
Ingo Groepler-Roeser, 04.08.2010