WAK.2009-04-01
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- Schein und Sein - DIE LINKE und die Medien
- Sozialistische Politik in einer neoliberalen Medienwelt - Verständnis und Zugangsmöglichkeiten
- mit Christoph Nitz, Berlin
- Veranstaltung des Gesprächskreises Wege aus dem Kapitalismus und des Rohrbacher Kreises in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen
- Moderation: Prof. Hans-Gert Gräbe
- 1. April 2009, 18:00 Uhr, Harkortstraße 10
Ankündigung
"... Die gute Nachricht ist auch: es gibt sie in großer Zahl und vielfältiger Gestalt bereits im ganzen Land – Projekte, Bündnisse, Zusammenarbeit und Regierungsverantwortung von linken Parteien, Politikern und Gruppen. Mehrheiten für Bündnis 90/Grüne, SPD und DIE LINKE entstehen zuerst dort, wo Politik und Menschen sich am nächsten sind: in den Kommunen und in den Ländern. Es gibt sie, die bereits von Willy Brandt beschworene Mehrheit links der Mitte. Unter dem zentralen Wert Soziale Gerechtigkeit sammelt sie sich und fordert den Politikwechsel auch ein – und hat immer weniger Verständnis für ideologische Abgrenzungen der Parteien. Sie wollen Taten, also eine wirklich soziale und gerechte Politik für Deutschland.
Doch über die Vernetzung der handelnden Akteure hinaus braucht linke Politik eine Vernetzung unabhängiger links-progressiver Köpfe. Das Konzept der angelsächsischen Think Tanks ist eine erfolgreiche Strategie, die zwar von den Neocons vor allem der Reagan-Ära stammt – deren Wirksamkeit aber unumstritten ist. Wer erfolgreich politisch kommunizieren will, braucht Ideen und Antworten auf die Frage, wie das eigene Weltbild attraktiv und wegweisend sich in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger festsetzen kann. Dafür müssen die besten Köpfe zusammen kommen."
Mit dieser Einschätzung schließt der Aufsatz von Christoph Nitz, der unserer Diskussion zu Grunde liegt. Besonders der letzte Absatz über die Rolle linker Think Tanks steht in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zu Kants Forderung, dass sich "die Menschen aus selbst verschuldeter Unmündigkeit befreien mögen". Ein solches auch praktische Auseinandersetzungen in der Leipziger und sächsischen Linken prägendes Ringen um ein "gemeinsames eigenes Weltbild" in einer "neoliberal geprägten Medienwelt" soll an diesem Abend ausgelotet werden.
Hans-Gert Gräbe, 26.03.2009
- Christoph Nitz: It's the Werte, stupid! Die Chancen und Fehler politischer Kommunikation. Standpunkte 26/2008 der Bundes-RLS. http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte_0826.pdf
Zum Referenten:
Christoph Nitz, Kommunikationswissenschaftler. Seit 1998 Redakteur bei der Tageszeitung Neues Deutschland sowie freiberuflicher Dozent. Mitinitiator der Akademien linker Medienmacher/innen und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft rote reporter/innen in und bei DIE LINKE.
Bericht
In seiner Diskussionsgrundlage ging Christoph Nitz auf verschiedene Aspekte der Außenwirkung der Linken bzw. LINKEN ein, wie sie im oben genannten Aufsatz genauer ausgeführt sind. Dabei standen Techniken und Fragen der externen Kommunikation von Anliegen und Positionen "der Linken" im Mittelpunkt, wie sich diese Positionen über geeignete Sprache(n) und mediale Mittel in verschiedene soziale Milieus transportieren lassen und so gesellschafts- und letztlich auch mehrheitsfähig werden. "Unsere Themen und unsere Ziele müssen rübergebracht werden".
Im Aufsatz heißt es dazu, dass "eine hohe Zielakzeptanz die Beteiligung der Menschen an der Zielfindung voraussetzt. Nur dialogorientierte politische Kommunikation erreicht hohe Schnittmengen an Einstellungen. Die Konsequenz: Der Dialog muss in der Politikvermittlung einen hohen Stellenwert einnehmen." Dabei - so die Überschrift des Aufsatzes - müssen auch mehr konservative Muster und Begriffe ("Werte") aufgenommen und daraufhin abgeklopft werden, wie weit sie - etwa im Begriff "Steuererleicherungen" - als Deckmantel neoliberaler Politik herhalten oder aber - etwa im Begriff "Familie" - sich in ihnen linke Positionen finden oder hineinbringen lassen.
Die eigenartige Grundkonstellation des Vortrags und auch des Aufsatzes - auf der einen Seite "die Linke" als weitgehend homogen agierend wahrgenommene und mit einem Vermittlungsanspruch ausgestattete politische Kraft, auf der anderen Seite "Bürgerinnen und Bürger" auch und gerade "in ihrer passiven Haltung" - hatte ich bereits in der Ankündigung des Abends thematisiert, und dies spielte dann auch in der Diskussion die zentrale Rolle.
Schließlich ist es ein argumentativer Bruch, wenn einerseits festgestellt wird, dass im Gegensatz zu Marx' Klassenanalyse "die Gesellschaft heute wesentlich differenzierter" sei und aus "nach geografischen, soziodemografischen und verhaltensbezogenen Dialoggruppen" bestehe (eine solche auf Durkheim und Bourdieu zurückgehende Einschätzung wurde an diesem Abend in einem einzigen Diskussionsbeitrag in Frage gestellt und zu einer Rückkehr zu konsequent klassenmäßigem Denken aufgefordert), diese Beobachtung aber bei der Innenanalyse der Linken selbst keine Rolle spielt (bzw. - wie bei Nitz - diese Innenanalyse ganz unterbleibt).
In der Diskussion ging es denn auch zentral um die Frage der Genese eines solchen linken Wertekanons bzw. der Identität eines "wir Linke" überhaupt. Besonders Paul Frost machte deutlich, dass die formulierten Ansprüche an Formen externer Kommunikation in potenzierter Form an die kommunikativen Prozesse innerhalb der Linken anzulegen sind. Der Spagat und Spannungsbogen zwischen linker Vielfalt und linker Einheit, der dabei zu analysieren wäre, kam an diesem Abend allerdings zu kurz und soll Gegenstand einer weiteren Veranstaltung des Gesprächskreises WAK Leipzig am 22.04.2009 werden.
Meine Frage nach dem Verhältnis linker Debatte und linker Entscheidungsfindung wollte Nitz vor allem in einem gut zeitlich abgestimmten "Issue Management" aufgefangen sehen - also einem entscheidungsgesteuerten Aufspannen und Verdichten diskursiver Freiräume. Die praktischen Erfahrungen einer Reihe von Anwesenden mit den sehr beschränkten partizipativen Möglichkeiten eines solchen Ansatzes in der Verabschiedung der aktuellen Wahlprogramme auf kommunaler und Landesebene zeigen die Grenzen eines solchen Zugangs. Meine weitergehende Frage, wie sich dieses Verhältnis gar bei dialektisch widersprüchlichen Themen ausformen lässt, wo jede Entscheidung nur ein Schnappschuss aktueller Mehrheiten - genauer, politisch gewichteter Mehrheiten - sein kann, blieb unbeantwortet. Es sind aber gerade diese Fragen (Regierungsbeteiligungen, Militäreinsätze im Ausland, WOBA-Verkauf, Umgang mit der Finanzkrise), welche die Linke und besonderes die LINKE - als politische Kraft mit dem Anspruch eigenständiger Handlungs- und Kampagnefähigkeit - immer wieder auseinandertreiben.
Hans-Gert Gräbe, 02.04.2009
Weitere Berichte und Diskussionsmeldungen: