WAK.2008-02-12
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- Individualität und Eigentum
- Vortrag und Diskussion mit Dr. Christian Schmidt, Leipzig
- Veranstaltung von WAK-Leipzig und Rohrbacher Kreis
- 12. Februar 2008, 18:00 Uhr, Harkortstraße 10
Ankündigung
Grundlage von Vortrag und Diskussion bildet das Buch "Individualität und Eigentum. Zur Rekonstruktion zweier Grundbegriffe der Moderne" des Referenten, das im Herbst 2006 in der Reihe "Campus Forschung" erschien.
Auf der Webseite des Verlags heißt es dazu: Sowohl Individualität als auch Eigentum erhielten ihren heutigen Sinn erst mit den bürgerlichen Revolutionen. Die ökonomische Ordnung des Kapitalismus beruht auf der als Besitz bekannten Zuordnung von Dingen zu Personen und der strikten Trennung von Eigentum und Person. Christian Schmidt rekonstruiert die beiden Grundbegriffe der Moderne und diskutiert dabei Fragen der Entfremdung, des geistigen Eigentums und des Eigentums im Sozialismus.
Christian Schmidt, Dr. phil., studierte in Leipzig und an der Londoner City University Philosophie und Mathematik.
Link zum Buchtitel auf der Verlagsseite:
Eine ausführliche Besprechung einer Diskussion mit Christian Schmidt und Sabine Nuss am 12.12.2007 in Berlin:
Weitere Links auf Diskussionen zum Eigentum im Kontext von WAK Leipzig:
- WAK.2007-11-14 - Sozialismus und Eigentum. Vortrag und Diskussion mit Michael Brie, Berlin
- WAK.Rezensionen.Hesse-2003 - Rezension zum Protokollband der Tagung "Das Eigentum im Widerstreit alternativer Wirtschaftskonzepte" von Horst Hesse
Bericht
Im Referat ging Christian Schmidt für eine inhaltliche Bestimmung davon aus, dass sich Individualität aus Praktiken des Eigentums erklären und verstehen lässt. Beide Begriffe sind also historisch besondere Formen einer speziellen Ordnung, die aus speziellen Praxen entstehen. Wie bei Marx erscheint dabei Eigentum als Verhältnis von Personen zu Sachen, ist aber in einer tieferen Schicht ein Verhältnis zwischen Personen bzgl. dieser Sache. Dabei ist insbesondere der subtile Unterschied zwischen Besitz und Eigentum zu berücksichtigen. Geld(besitz) wird in diesem Zusammenhang als Eigentumsanrecht verstanden, das in konkreten vertraglichen Akten in Eigentum umgewandelt werden kann.
Breiten Raum in den Ausführungen nahm die Darstellung der historischen Genese des Eigentumsbegriffs ein, denn die Eigentumsverhältnisse und auch die genaue Semantik von Eigentum ändert sich im Kapitalismus ständig. Dies hatte auch Sabine Nuss in ihrem Vortrag vor dem Rohrbacher Kreis am 05.05.2007 in Dahlen betont und die entsprechenden Änderungen auf dem Hintergrund der Debatte um „geistiges Eigentum“ genauer charakterisiert.
Im Gegensatz zu Sabine Nuss, bei der die Unterscheidung zwischen der juristischen und der politökonomischen Dimension der Kategorie „Eigentum“ eine wichtige Rolle spielte (siehe auch meine Bemerkungen zum Vortrag von M.Brie WAK.2007-11-14), beschränkte sind Christian Schmidt weitgehend auf die juristische Dimension und stützte sich auf die angelsächsische Tradition der Sicht auf Eigentum als Bündel von Rechten. Rifkins Ansatz des „Access“ – siehe sein gleichnamiges Buch – ist aber zu unspezifisch, da er innerhalb Zugang kodierender vertragsrechtlicher Verhältnisse keine speziellen Eigentumsverhältnisse mehr auszeichnet. Damit wird eine wichtige Reproduktionsdimension ausgeblendet: Vertragliche Regelungen setzen die Vertragsfähigkeit der Individuen voraus und diese kann sich ihrerseits nur in der Eigentumspraxis bilden. Rifkins Ansatz ist also ein frei schwebender selbstreferentieller Bezug, der den Drift dieser Dynamik nicht mit im Kalkül hat, aus dem erst die Dynamik der Eigentumsverhältnisse resultiert.
Die Brücke zwischen Eigentum und Individualität ergibt sich in Christian Schmidts Ausführungen aus der Spezifik des „Eigentums an sich selbst“, aus dem sich der Begriff „Person“ ableitet. Schließlich kann man sich selbst – wenigstens in dieser Rechtsordnung – nicht vollständig verkaufen, so dass eine klare Grenze zwischen Personen und Eigentum im engeren Sinne zu ziehen ist.
Ob die Anwendung der Eigentums-Kategorie in diesem Kontext für einen linken Theoriekontext wirklich sinnvoll ist, stelle ich allerdings stark in Zweifel. Gleichwohl muss ein solches Verständnis in dieser Gesellschaft dafür herhalten, das Verdingungsverhältnis (Ruben) „Lohnarbeit“ als Verkaufsverhältnis darzustellen und die mit „Bewertungen“ durch Dritte verbundenen Zuordnungspraktiken als in hohem Maße konstituierend für Individualität. Dies führte Christian Schmidt denn auch dem Mainstream folgend aus. Hier rächt sich der geringe politökonomische Bezug der vorgebrachten Argumentation und führt in ein einseitiges Fahrwasser, das die Begriffe Person, Subjekt und Individuum allein handlungstheoretisch aus institutionalisierten rechtlichen Praktiken in einem primär juristisch geprägten Kontinuum herleitet. Dass sich die Rechtsfähigkeit der handelnden Personen erst aus deren Verantwortungsfähigkeit ergibt, der Mensch also nicht allein ein "zeitlich dauernd abgrenzbarer Träger von Fähigkeiten und Fertigkeiten" ist, der erst handelnd zum Subjekt wird, sondern ebendiese "Fähigkeiten und Fertigkeiten" konstituierendes Element der ihm gesellschaftlich eingeräumten Handlungsspielräume sind, blieb denn auch konsequent ausgeblendet. Aus einer solchen Perspektive sind es dann die Verhältnisse, die Subjekte in "Lernsituationen" stellen und zu "Kompetenzerwerb" anstacheln, das Subjekt ist die "Lücke" im Kontext, die es auszufüllen gilt, kurz, es ergibt sich ein sehr passives und von außen getriggertes Verständnis der Genese von Individualität.
Es blieb damit eine große Kluft zwischen diesem Herangehen und unseren bisherigen Diskussionen bei WAK Leipzig, die Individualität stärker mit der Genese der individuellen Wissens- und Erfahrungshorizonte im Kontext der Reproduktion der Wissensbasis unserer Gesellschaft im Sinne etwa meiner Emanzipationsthesen in Verbindung bringen. Eine Kluft, die sich an diesem Abend auch nicht sinnvoll schließen ließ.
Hans-Gert Gräbe, 20.03.2008