Naturkundemuseum.Konzept-2005

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14. Internationale Fachtagung bayerischer, böhmischer und sächsischer Museumsfachleute
Natur im Museum
5. bis 7. September 2005

Bulletin

S. 85 bis 91:

Die Tastatur der Natur
Erfahrungen des Naturkundemuseums Leipzig aus Projekten zum Thema "Naturkundemuseum barrierefrei"
von
Rudolf Schlatter
Naturkundemuseum Leipzig

Auszüge aus dem Artikel:

... die Notwendigkeit unterstreichen, dass Museen mehr denn je gefordert sind einerseits in ihrer musealen baulichen Infrastruktur, Barrieren abzubauen und andererseits in der Art der Präsentation ihrer Objekte, allen Bevölkerungskreisen deren Inhalte ganzheitlich erlebbar zu erschließen. Dies also nicht nur visuell - sondern, wenn möglich - mit allen Sinnen.

Die Eröffnung der Ausstellung ... Über dem Eingang hing eine Plane mit der Ankündigung der Exposition auch in Blindenschrift. Gerade dieser Umstand, so das Resultat von Besucherumfragen, löste Aufmerksamkeit und Neugier aus.
Viele Besucher ohne Behinderung äußerten sich nach dem Ausstellungsbesuch, dass das Museum mit dieser Ausstellung einem dringenden allgemeinen Bedürfnis nachgekommen sei, indem es alle Sinne bei der Präsentation ... einbezog.
...
Wohl einer der bekanntesten Berge - das Matterhorn - konnte auch als Bergrelief ertastet werden. Gleichzeitig konnte der Besucher über Kopfhörer etwas über seine hinsichtlich der Plattentektonik dramatischen Entwicklungsgeschichte erfahren.
... während einer integrativen Führung vor einem Bergrelief ... Nicht das sehende Kind findet zuerst den höchsten Berg. Die sehenden Hände des blind Geborenen sind es, die versiert das tastbare Bergrelief "überblicken". Als Preis malt der Sehende ein Bild auf eine dünne Metallfolie, wo die Linien erhaben und somit tastbar bleiben. "Du kannst aber schön malen", urteilt das blinde Kind anerkennend und drückt in Punktschrift einen Dankesgruß auf die Folie ...
Zum Thema "Berge" gehört auch der Geruchssinn! Der Geruch von Alpenkräutern wird zum Erlebnis für Alle.
An einer anderen Stelle kann das auf eine Metallplatte übertragene Relief eines Kupferstichs aus dem 17. Jahrhundert ertastet werden ...

... die gestalterische Umsetzung der naturkundlichen Themen in wesentlichen Teilen die Einbeziehung aller Sinne zum Ziel hat. Die heute oft hochgelobten multimedialen Präsentationen - nur für Sehende und Hörende - treten vor diesem Anspruch deutlich in den Hintergrund.

... Besucher ... die sich durch das Verbinden der Augen gewollt in die Rolle des Blinden zu versetzen versuchten.

... die Ausstellung "Natur be-greifen - eine Ausstellung für Sehbehinderte und Sehende" im Naturkundemuseum ... Unter Mitwirkung aller Museumsmitarbeiter konnten Themen zur Geologie, Botanik und Zoologie mit Erfolg umgesetzt werden. In den knapp drei Monaten Ausstellungsdauer wurden rund 10.000 Besucher registriert ... Die als Wanderausstellung konzipierte Ausstellung machte nach Leipzig Station in 15 Städten der Bundesrepublik ...
Die Ausstellung besteht aus 26 Stellwänden mit davor montierten, unterfahrbaren pultähnlichen Tischen, um auch Besuchern im Rollstuhl bequemen Zugang zu den Exponaten zu gewähren. Die Augenhöhe des Rollstuhlfahrers entspricht übrigens der des Kindes ...
Die auf den Pulten freigestellt präsentierten, gut tastbaren Objekte ... für den Besucher be-greifbar gemacht, dass dieser selbsttätig - oder je nach Behinderung unter gezielter Betreuung - eine möglichst alle Sinne umfassende Erlebniswelt aufzubauen vermag. ...
Gesteine eignen sich für die Aktivierung aller Sinne besonders gut: Der Klang des Phonoliths beim Anschlagen, der Geschmack des Steinsalzes, der Geruch des bitumenreichen oder des angefeuchteten Gesteins.
Holz, Rinden, Wurzeln und Früchte lassen sich an ihren typischen Oberflächenstrukturen gut erkennen. Die Jahresringe von Baumscheiben werden deutlich tastbar, wenn das Weichholz in nassem Zustand ausgebürstet wird ... verschiedene Körperbedeckungen (Felle, Federn, Häute). Die differenzierten Gebissformen der Pflanzen-, Fleisch- und Allesfresser sowie die unterschiedliche Ausbildung der Gliedmaßen werden "be-greifbar" vermittelt.
... Exponate, die sich weniger zum Anfassen eignen ... wurden ... abgegossen ...
Die kräftige Farbgebung der einzelnen Ausstellungsteile ... dient neben der Laufschiene am Boden sehbehinderten Besuchern zur Orientierung.
Die Beschriftung erfolgte in Braille und Großdruck auf spiegelfreie Textträger. An zwei Studierplätzen werden Zusatzinformationen in schriftlicher Form und akustisch über Kassette und Kopfhörer geboten.
Der Erfolg der Ausstellung beruhte auch darauf, dass pädagogische Begleitprogramme wie Sinnspiele oder Tast- und Klangmemories in das Ausstellungsangebot aufgenommen wurden.

... dass ein modernes Naturkundemuseum heute einer behindertengerechten baulichen Ausstattung bedarf. Es ist jedoch noch längst nicht behindertengerecht, wenn nur die bautechnischen Voraussetzungen die Begehbarkeit der Ausstellungsräume für alle Besucher ohne Probleme ermöglichen.
Vielmehr gilt es im Bereich der gestalterischen Umsetzung naturkundlicher Themen stets darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln die Inhalte der Exponate in ihrer Gesamtheit aufgeschlossen werden können, um möglichst alle Sinne der Besucher zu aktivieren.

Das Ziel "barrierefrei für Alle" werden wir jedoch nicht allein durch die Präsentation der Ausstellung erreichen. Es bleibt weiterhin Aufgabe der Museumspädagogik, mittels integrativer Führungen besonderen Gruppen, wie beispielsweise mehrfach Behinderten, die Natur erlebbar zu machen.