MINT.2012-09-11

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11. September 2012: Nachhaltige Energietechnik - Probleme und Fragen

Nachhaltige Energietechnik - Probleme und Fragen
Mit Prof. A. Pretschner (HTWK Leipzig)
Veranstaltung in der Reihe "MINT - Zukunft schaffen. Leipziger Diskurs zu nachhaltigen Energiekonzepten"
Dienstag, 11. September 2012, 18:00 Uhr, Volkshochschule Löhrstraße, Raum 410

Ankündigung

Mit dieser Veranstaltung eröffnen wir die Reihe "MINT - Zukunft schaffen. Leipziger Diskurs zu nachhaltigen Energiekonzepten", in der wir uns in monatlichen Veranstaltungen verstärkt auch mit ingenieur-technischen Aspekten und Herausforderungen nachhaltiger Energiekonzepte vertraut machen und diese Überlegungen diskutieren wollen.

Anmerkungen

Im Mittelpunkt von Vortrag und Diskussion standen technische Aspekte der Stromversorgung, auf einem allgemein verständlichen Niveau dargestellt, die zeigten, dass viele Stammtischdebatten über "böse Stromkonzerne", "arme Kunden" usw. der Komplexität der Zusammenhänge wenig gerecht werden, wenn man sich die Mühe macht und auch nur etwas genauer hinschaut. Dies - die vor allem auch technischen Bedingtheiten möglichen politischen Handelns - genauer auszuloten steht im Mittelpunkt des gesamten Kurses.

Inhaltlich möchte ich drei Momente herausheben, die mir besonders bemerkenswert erschienen:

  1. Die Dichotomie zwischen "Energiekonzernen" und "Verbrauchern" löst sich schon auf, wenn man nur die betriebswirtschaftlichen Strukturen in der Stufung in Höchstspannungs-, Transmissions-, Verteil- und Niederspannungsnetz betrachtet. Hier sind in den letzten Jahren viele regulatorische Entscheidungen, etwa die Trennung von Netz und Energieerzeugung, getroffen worden, und mit den Netzbetreibern ein hoch regulierter "Markt" entstanden. Auf allen vier Spannungsebenen haben sich Versorgungsregionen etabliert mit verantwortlichen Infrastrukturbetreibern (etwa den Stadtwerken Leipzig für das Leipziger Stadtgebiet, wenn der "gelbe" oder "blaue" Strom wegen Insolvenz des Anbieters eines Tages mal nicht mehr fließen sollte), und die Betreiber etwa auf Verteilnetzebene sind "Verbraucher" auf der Transmissionsebene. Der in letzter Zeit medial viel strapazierte Konflikt zwischen den preislichen Vorstellungen von "Anbietern" und von "Verbrauchern" löst sich so in wenigstens vier Ebenen auf, wo auf jeder von ihnen eine sinnvolle Balance gefunden werden muss, welche die erforderlichen Ressourcen für Investitionen in die Infrastruktur sichert. Die mediale Behandlung der Problematik aus Sicht des Endkunden nimmt diese Vielfalt von Aushandlungsprozessen zu wenig zur Kenntnis - villeicht auch deshalb, weil diese b2b (Business to Business) und nicht b2c (Business to Consumer) sind und damit auch in einer b2b-Sprache verhandelt werden.
  2. Prof. Pretschner brachte - auch noch einmal explizit auf Nachfrage - den Optimismus des Technikers und Ingenieurs zum Ausdruck, dass die vor uns stehenden Herausforderungen des Umbaus unserer Energieversorgungssysteme zu meistern sind, wenn nur die politischen Rahmenbedingungen (und hier sind sowohl die ordnungspolitischen als auch die firmenpolitischen Bedingungen gemeint) angemessen gesetzt werden. Viele technisch wünschenswerte Entwicklungen, die im Prinzip auch schon technisch gelöst sind, werden heute noch nicht ausgerollt, weil die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Macht und politischer Einfluss der "alten" Strukturen ist noch zu groß, um wettbewerbliche Rahmenbedingungen anders zu setzen. Der betriebswirtschaftliche Durchbruch zu einer großen Energiewende - in dem auch ganz andere Akteure als heute bedeutsam werden - ist noch nicht abzusehen. Allerdings ist dies eher typisch für die "langen Wellen" technologischer Änderungen, die mit dem Namen von Nikolai Kondratjew verbunden werden. Folgt man diesen theoretischen Überlegungen, so ist der entscheidende Durchbruch am Ende des 2008 begonnenen "Kondratjew-Winters", also in etwa 15..20 Jahren zu erwarten.
  3. Ein letzter bemerkenswertes Aspekt waren die Parallelität der gelben und blauen Linien in den Folien von Prof. Pretschner. Die gelben standen für Leistungselektrik, die Übertragung der Energien selbst, die blauen standen für Steuerelektrik (und -elektronik, was ich hier nicht unterscheiden werde). Im digitalen Zeitalter ist der Umbruch der Steuersysteme des Hochspannungsnetzes von elektro-mechanischen Schalteinrichtungen, die von durch Telefon verbundenen Menschen gesteuert wurden (Schaltwarten), hin zu einem digitalen Kommunikationsnetz, über das die entsprechenden Einrichtungen ferngesteuert werden, weitgehend vollzogen. Damit verbunden ist der Übergang von Systemen, deren Steuerungsfähigkeit durch die kognitiven Möglichkeiten der sie steuernden Menschen begrenzt waren, zu technischen Systemen, in denen die Intelligenz der Menschen (vor allem der Ingenieure und Techniker) eingesetzt wird, um sich selbst steuernde Systeme zu entwerfen und umzusetzen. Ein spannendes Themenfeld, das sich schnell zu philosophischen und ethischen Debatten hin öffnen lässt, was aber zu unserem Termin nicht mit auf der Agenda stand.

Der letzte Punkt - die Ablösung manueller Steuerung durch Steuerungssysteme - wird praktisch erlebbar werden beim nächsten Kurstermin am 9.10., der im Industriemuseum "Umspannwerk Markkleeberg" statfinden wird, einem spannenden Leipziger MINT-Ort des VDE-Bezirksverbands, in dem die Geschichte der Mittelspannungstechnik an Hand verschiedener Exponate hautnah nacherlebt werden kann.

Hans-Gert Gräbe, 13.09.2012