HGG.Massarrat
Anmerkungen zu zwei Beiträgen von Mohssen Massarrat in der Zeitschrift Z.
- Mohssen Massarrat: Macht im Kapitalismus. Z 93, S. 48-65.
- Wolfgang Neef, Mohssen Massarrat: Missverständnisse über Kapitalismus. Z 89, S. 172-180.
06.04.2013
Sehr geehrter Herr Massarrat,
als Mathematiker und Informatiker, also dedizierter "Scientist" (im Gegensatz zu den "Humanities" - auch wenn ich die Differenz nur bzgl. der durch die je eigenen Denkkulturen geprägten Zugänge zu interdisziplinären Themen gelten lassen möchte) habe ich vor einiger Zeit die "Missverständnisse über Kapitalismus" gelesen und in vielen Punkten die "Missverständnisse über Missverständnisse" zwischen Ihnen und Herrn Neef bedauert, denn das Thema wäre es wert gewesen, solider abgehandelt zu werden.
Ich komme deshalb auf dasselbe Thema an Hand Ihres Textes "Macht im Kapitalismus" zurück - kann man das alles wirklich ohne jeden Rekurs auf Wissenschaft und Technik, und insbesondere Technikgeschichte, behandeln?
Die Unterscheidung zwischen Historischem und Logischem Kapitalismus wird von Ihnen nicht weiter expliziert, aber sie kann ja wohl nur die Unterscheidung zwischen dem Objekt Ihrer Untersuchung und Beschreibungsformen dieses Objekts (auf verschiedenen Stufen der Abstraktion) sein, wie es ja auch Marx im Kapital exemplarisch vorgemacht hat.
In einem solchen Kontext "Macht als historische Kategorie mit einem Eigenleben" zu explizieren, führt dazu, Macht (was das auch immer ist) als kategorielles Etwas abzuheben, das "auf die Verhältnisse wirkt", sie also letztlich auf einen externen Standpunkt zu verschieben.
Macht fassen Sie dann als "die Chance eines (!) Menschen oder einer Mehrzahl (?) solcher, den eigenen Willen (?) in einem Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer Beteiligter durchzusetzen". Die Fragezeichen beziehen sich auf völlige Unklarheit meinerseits, wie das zu verstehen ist: "eigener Willen" einer "Mehrzahl" - man kann sich zu gemeinsamem Handeln verabreden und dann auch konzertiert wirken, wobei meist positive (Synergien) als auch negative (Widerstände) Rückkopplungen auf die praktische Umsetzungsmöglichkeit des "eigenen Willens" (nun aber im Sinne des Ausrufungszeichens) eintreten werden. Dies kann auch letztlich zu einem Subjekt, zum Beispiel einem Wirtschaftssubjekt, verdichtet werden. Wie aber generiert sich dabei "Macht"? Macht "hat" man als Subjekt? Sui generis oder von Gott oder vom "Gott der Umstände" gegeben?
Dies alles ohne Rekurs auf die Instrumente (also Technik, Machttechnik eingeschlossen) zu debattieren, die für derartige Aushandlungsprozesse (auch asymmetrische, also "macht"förmige ?) zur Verfügung stehen, erscheint mir mehr als zweifelhaft. Neef hat versucht, das am Thema "Peak Oil" konkret durchzudeklinieren.
Was bedeutet es, Macht "als Möglichkeit und Fähigkeit zur Monopolisierung gesellschaftlicher Ressourcen zu begreifen, um den eigenen Willen (nun schon ganz individualsubjektivisch? - HGG) und die eigenen Interessen zu Lasten Dritter durchzusetzen"? Wieso kommt ein Marxist zu so einer Definition, ohne auch nur einen Moment an Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" zu denken?
"... unvermeidlich, alte Technologie vom Markt zu nehmen" - offensichtlich gibt es nicht nur Bedingtheiten auf der Ebene der "eigenen Interessen zu Lasten Dritter", sondern auch harte, durch die technologische Entwicklung "geschaffene" Fakten, um die man nicht herumkommt (Siemens schließt gerade seinen Leipziger Standort weitgehend aus dem Grund, dass das zentrale Management technische Entwicklungen im Telefoniemarkt verschlafen hat, weil sie die eigene Vorlaufforschung nicht breit genug aufgestellt haben). Gegenläufige Tendenzen im Kapitalverhältnis hat Marx besonders im Band 3 des Kapitals untersucht. Wieso kommt das hier nicht mal in Ansätzen vor?
"Im Unterschied zur Macht, die dazu neigt, bestehende Verhältnisse zu konservieren, wohnt dem Kapital die Tendenz inne, die Verhältnisse umzukrempeln, sie zu revolutionieren ..." Das so zu trennen ist sicher nicht ernst gemeint, jedenfalls weder Marxens Standpunkt in den "Grundrissen" noch Lenins in dessen Imperialismusanalyse. In Ansätzen [1] weiter ausgeführt.
Da waren ME selbst im Manifest weiter, von einem 10 Jahre alten Text von Eben Moglen ganz zu schweigen.
Es wäre mir egal, wenn Sie der einzige wären, der marxistische Ansätze der Problemanalyse derart verballhornt. Leider ist es ein ganzer machttheoretischer Diskurs, der meint, die Dynamik technischer Entwicklungen theoretisch ausblenden zu können. Eine solche Karikatur der Methodik der Altmeister nach meinem Verständnis mit "marxistischer Erneuerung" nichts zu tun.
Selbst Oliver Stones Film "Wall Street" beobachtet jenes Geschehen in den "Zentren der Macht" um Größenordnungen genauer.
Mit freundlichen Grüßen, Hans-Gert Gräbe
07.04.2013
Sehr geehrter Herr Gräbe,
vielen Dank für Ihre Anmerkungen zu meinen Texten. Gern hätte ich eine Kritik der zentralen These meines Ansatzes "Macht im Kapitalismus" von Ihnen gelesen. Diese besteht doch darin, dass man nicht die ganze Welt ausschließlich mit Profitmaximierung erklären kann, dass die Realität wesentlich komplexer ist, weil dabei die Machtverhältnisse in ihrer eigenen Dynamik und Logik die Realität wesentlich mitbestimmen. Dazu gehört der Imperialismus, dazu gehört auch das Finanzkapital (dazu in späteren Beiträgen noch mehr) und v.a.m. Ich verstehe Ihre Kritik dahingehend, dass Sie mit meinen Texten nicht einverstanden sind. In den einzelnen Sätzen oder Gedanken kann man immer ein Haar in der Suppe finden. Sie kritisieren leider die Nebensächlichkeiten in meinem Text und übersehen dabei den Kern dessen, was ich sagen will.
Ich verbleibe mit besten Grüßen, Mohssen Massarrat
07.04.2013
Sehr geehrter Herr Massarat,
wie weiter?
"Sie kritisieren leider die Nebensächlichkeiten in meinem Text und übersehen dabei den Kern dessen, was ich sagen will" ist in der vorliegenden Form für mich nicht mehr als eine durch keinerlei Belege unterfütterte Behauptung Ihrerseits, was Sie sicher nachvollziehen können.
In medias res mit Ihrem Text, oder zunächst ein kleiner Blick in die Gedankenwelt Ihres Kritikers?
Etwa meine Überlegungen "Lange Wellen und globale Krise"? Sie sehen, dass ich mich auch sehr intensiv mit der "Frage der fallenden Profitrate" und der diesbezüglichen Debatte in Z befasst habe, was aber bisher nicht auf das Interesse der Redaktion stieß. Klaus Müller ("Anti-Engelsismus" MB 1-13) versuchte mir auch zu erklären, warum.
Mit freundlichen Grüßen, Hans-Gert Gräbe