Benutzer:HGG.Blog.2009-07-04
Ekkehard Lieberam, Die dritte Große Depression, Reihe spotless, Nr. 217, erscheint im Verlag edition ost, Berlin 2009, 96 Seiten, 5,95 Euro.
Dritte Große Depression
Zeitgenaue Krisenprognosen sind auch für die marxistische politische Ökonomie eine schwierige Sache. Es ist aber unbestreitbar, wie es Abendroth einmal formulierte, dass die Unvermeidlichkeit des Umschlags der Konjunktur in eine neue internationale Krise, die den gesamten Bereich der kapitalistischen Produktionsverhältnisse erfasst, nur von der marxistischen Forschung prognostiziert und vom revolutionären Flügel der Arbeiterbewegung verstanden wird. Das Buch von Ekkehard Lieberam "Die dritte große Depression " ist ein Beweis dafür. Seine Hypothese lautet, dass wir es in den nächsten Jahren mit einer außerordentlich ernsten Weltwirtschaftskrise in der Einheit und Wechselwirkung von Finanzkrise und Überproduktionskrise zu tun haben. Diese Krise trifft zusammen mit einer schwer einzuschätzenden Klimakrise, einer Rohstoffkrise und einer sich dramatisch zuspitzenden Ernährungskrise. So trägt diese Krise möglicherweise den Keim des Auftaktes zur Überwindung des Kapitalismus in sich - mit allen daraus sich ergebenden Konsequenzen.
Dieser Überlegung folgend, vergleicht Lieberam die jetzige, sich noch im Anfangsstadium befindende Krise mit den zwei großen Depressionen des 19. und 20. Jahrhunderts (1873 und 1929). Es handelt sich um eine durch den Gang der Dinge selbst herausgeforderte Analogie. Daher ist der Vergleich sehr nützlich, um den historischen Ort der aktuellen Krise zu bestimmen und sich ihren inneren Charakter anzusehen, die Reaktionsmöglichkeiten der Arbeiterbewegung - linker Politik überhaupt auszuloten. Die Hypothese "schließt die Vermutung ein, auch weitere Aspekte des Verlaufs der zwei historischen Großkrisen könnten für das Verständnis der Krise und für die Handlungsorientierung linker Politik in ihr bedeutsam sein, insbesondere deren Charakter als Zeiten grundlegender gesellschaftlicher Umbrüche und Auseinandersetzungen."
Überaus faktenreich ist das Material, das uns der Autor präsentiert, um seinen Gedankengang zum historischen Zusammenhang, zu den Ursachen und Auswirkungen der Krise empirisch zu untersetzen (ohne die Unterstützung von Peter Rath aus Bergkamen wäre dies sicherlich unmöglich gewesen). Die Art der Argumentation hebt sich wohltuend von manch anderer Darstellung der Krise in marxistischer Handschrift ab. Lieberam gibt einen - wo es hingehört mit viel politischem Witz und beißender Ironie gewürzten - Überblick über das Denken und Handeln der Herrschenden und Beherrschten, der Marxisten und bürgerlichen Ökonomen, der Theoretiker und Praktiker in der Krise. Im Lager der Herrschenden hat sich die ganze Innung blamiert: die Ökonomen, die Wirtschaftsmanager, die Politiker. Lieberam analysiert den politischen Karneval. Die relativ einheitliche Ideologisierung früherer Konjunktur ist zutiefst erschüttert. Der Autor hinterfragt die Ideologisierung der Krise mit ihren politischen Abwehrschlachten und nutzlosen Programmen. Er kommt somit auch auf die Aktionsmöglichkeiten der herrschenden Klasse, die Rolle von Politik und Staat in der Krise zu sprechen. "Die Marktradikalen in Politik und Wissenschaft waren im Herbst 2008 nur kurzzeitig sprachlos, um uns sehr schnell.mit neuen Sprüchen voll zu labern. Dabei gab und gibt es allerdings für sie ein großes Erklärungsproblem mit den Ursachen der Krise. Der Funktionsmechanismus der kapitalistischen Produktionsweise darf es auf keinen Fall sein, denn sonst müsste man ja deren Überwindung thematisieren. Die Bundesregierung kann es aber auch nicht sein, denn sonst wäre sie ja ihrer Schadensabwendungspflicht nicht nachgekommen.Merkwürdige Kapriolen gibt es um den Staatsbegriff.Verbreitetes Nichtwissen um die gesellschaftlichen Zusammenhänge, insbesondere hinsichtlich der kapitalistischen Produktionsweise, bedingt die große Rolle des politischen Glaubens in wirtschaftlichen Dingen."
Ekkehard Lieberam lässt in seiner Analyse keinen Zweifel daran, dass die Krisenursachen nur mit Karl Marx aufzudecken sind. Überzeugend weist er nach, dass tiefere Erkenntnisse über die eigentlichen Ursachen von Wirtschaftskrisen und über eine wirksame Krisenbekämpfung nur vom Standpunkt einer Position möglich sind, die nach einer Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise sucht. Folgerichtig untersucht der Autor sehr detailliert die Bemühungen der Marxisten in Vergangenheit und Gegenwart, um die Krisen zu erklären. Er hält es im Ergebnis seiner Überlegungen für notwendig, zeitgemäß die System- und Machtfrage zu stellen. Darunter versteht der Autor: 1. Das eigenständige politische Auftreten der abhängig Arbeitenden und sozial Ausgegrenzten als grundlegende Voraussetzung. 2. Organisierte linke Politik, die ihre primäre Aufgabe in der Mobilisierung von antikapitalistischer Gegenwehr sieht. 3. Es bedarf eines Programms zur Krisenbewältigung von links als Grundlage für den Zusammenschluss der abhängig Arbeitenden und sozial Ausgegrenzten gegen das Krisenmanagement der Herrschenden.
Lieberams Buch ist ein leidenschaftlicher Appell an die Marxisten, einzugreifen in die Verhältnisse, um sie zu ändern. Man muss es gelesen haben.
Herbert Münchow, 01.07.2009 auf der aktion-leipzig-liste