Attac.DenkTankStelle.2011-08-01
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DenkTankStelle von Attac-Leipzig
- Thema: „Anpassung“ als Menschenrecht.
- Ort und Zeit: 01.08.2011, 19 Uhr im Café Grundmann
- Input: Johannes Schroth
Ankündigung
Liebe Freundinnen und Freunde der DenktankStelle,
unsere nächste DTS findet am 1. August, wie immer 19.00 h im Café Grundmann statt und wir wollen uns mit der Behauptung, dass „Anpassung“ ein Menschenrecht sei, auseinandersetzen. Wie immer ist der Vorschlag im Konsens aus einer Diskussion heraus entstanden und wer meint, dass dieses Thema in diesen Zeiten einem Gespräch über Bäume gleichzusetzen und deshalb unangemessen sei, darf auch das.
- Anpassung in den exakten Wissenschaften, besonders seit Darwin natürlich in der Biologie, ist ein wenig umstrittener Begriff, die sogenannten Vertreter eines "intelligenten Designs" und Kreationisten mal ausgenommen. Unsere Diskussion wird sich also mehr in die interessantere Richtung "Anpassung als kulturelle, soziale und moralische Kategorie" bewegen.
- Anpassung ist ein Menschenrecht, das besonders den Schwachen zugestanden werden sollte, postulierte Günter Gaus in den neunziger Jahren im Gespräch mit Christa Wolf und er meinte die durch die Wende gebeutelten und wenig widerständigen Ossis.
- Anpassung ist charakterliche Schwäche und bringt die Gesellschaft insgesamt nicht weiter.
- Anpassung = Opportunismus? Angepasster = Wendehals?
- Wie relevant ist das Prinzip der Anpassung auf Tempo und Richtung gesellschaftlicher Prozesse zu sehen? Und welche Auswirkungen haben Anpassung und Widerstand auf die Demokratie, unser Hauptthema? Vielleicht landen wir beim Sinn oder Nichtsinn von Revolutionen als Aufstand der Anpassungsunwilligsten?
- Alles hat seine Zeit, heißt es in der Bibel. Vielleicht auch Anpassung und Widerstand?
Aus gegebenem Anlass wird noch einmal darauf hingewiesen, dass bei den DTS nichts Allgemeingültiges "herauskommen" MUSS oder gar Konsens angestrebt wird. Jeder nimmt das mit, was ihm wichtig erscheint. "Der Weg ist das Ziel"
JoHannes, 30.07.2011
Nachtrag
ANPASSUNG
Der Begriff bezeichnet zunächst ein allgemeines Naturgesetz: Selbst das Wasser des (unregulierten) Flusses sucht sich seinen Weg durch Anpassung an die geologischen Gegebenheiten. Im biologischen Lebensbereich meint er ein „sich Einstellen“ auf Lebensumstände, um das Herausbilden und Überleben von Arten und Individuen zu ermöglichen. Allerdings kann in solchem Prozess die Anpassungsfähigkeit hinsichtlich künftiger Veränderungen in den Lebensumständen verloren gehen, was u.U. den Untergang nach sich zieht. In der Technik geht es um Anpassungen technischer Systeme v.a. an funktionale Erfordernisse.
Im gesellschaftlichen Lebensbereich erscheint A. typischerweise als Art und Weise des mehr oder weniger bewussten Verhaltens (als Eigenschaft von Verhaltensprozessen). A. wird geltend gemacht als Forderung an oder Kritik gegenüber konzipiertem oder praktiziertem Verhalten. (Das schließt nicht aus, dass hier auch A.-Prozesse stattfinden, die durch das menschheitlich-biologische oder entsprechend individuelles Erbe determiniert bzw. unterschwellig beeinflusst sind.
Anpassung ist auch hier ein Berücksichtigen natürlicher oder sozialer Lebensbedingungen, ein positives oder negatives bzw. „suchendes“ Eingehen (sich-Einstellen) auf diese. Dabei sind Täuschungen über deren Beschaffenheit und dieser gegenüber (durch subjekt-eigene Ziele bestimmtes) zweckmäßiges Verhalten möglich. Zu solchen Lebensbedingungen gehören etwa
- Macht- und allgemein politische Verhältnisse
- familiäre Gegebenheiten
- weltanschauliche und religiöse Traditionen
- rechtliche und moralische Normative.
Daneben sind jedoch auch etwa wechselnde Modeerscheinungen, kulturspezifische Hygieneanforderungen, künstlerische Überlieferungen u.a. zu berücksichtigen. Hierfür existieren jeweils spezifische (u.U. schnell wechselnde) Normative, auf die sich Gruppen oder Individuen positiv oder negativ bzw. „suchend“ einstellen. Ein spezifisches Anpassungsverhalten kann an raumzeitliche Bedingungen gebunden sein und ist dann in Abhängigkeit von deren Veränderungen selbst veränderbar.
Anpassung von (kollektiven oder individuellen) Verhaltenssubjekten findet demnach statt als Einfügen in Gegebenheiten, Opponieren gegen diese oder Taktieren in ihnen (Suchen nach Erfolg und Irrtum). Die Ziele und Absichten (Motivationen) dafür können unterschiedlich bis gegensätzlich sein. Übergänge erfolgen durch äußere wie auch subjekteigene, individuelle Veränderungen. Anpassungsprozesse unterschiedlicher Verhaltenssubjekte (etwa von Organisationen und Institutionen, Alters- oder Geschlechterkohorten usf. sowie erst recht von Individuen) weisen mehr oder weniger typische Differenzierungen auf.
Anpassung als Forderung, als geistiger oder praktischer Prozess ist (relativ wertfrei) zu analysieren und zu charakterisieren und kann nur auf solcher Grundlage dann auch sachlich eingeschätzt und nach jeweiligen Normativen gewertet werden. Wertungen von Anpassungsprozessen sind abhängig von der Sachbeschaffenheit und zugestandenen sozialen Wertigkeit der Gegebenheiten, auf die sie sich beziehen und im engeren Sinne von den Vorstellungen der Wertenden bezüglich der jeweiligen Sachbeschaffenheiten und sozialen Wertigkeiten. Letztere sind interessengeleitet und wissensabhängig. Das jeweilige Interesse wird dabei vermittelt über die objektbezogene (angeeigneten bzw. ausgebildeten) subjektiven Normen der Verhaltenssubjekte (Vgl. dazu oben genannte unterschiedliche Normensysteme).
Im alltäglichen Umgang sind Forderungen nach oder Kritiken an Anpassungsorientierungen oder -prozessen in aller Regel verbunden mit entsprechenden Arten von Wertungen, oftmals mit moralischen. Das lässt sich aktuell auch beobachten beispielsweise in Auseinandersetzungen über das Verhalten von Angehörigen des diplomatischen Dienstes im NS-Regime (vgl. Das Amt) oder den neu aufflammenden „Historikerstreit“.
Im Umfeld von ANPASSUNG finden sich Begriffe wie
- Kompromiß, Opportunismus, Flexibilität, Taktik u.a.
Hinsichtlich der Diskussionen auch zu aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten und ihnen gegenüber eingeforderten Verhaltensweisen ist zu erinnern, dass zahlreiche frühere Kulturen und auch Hochkulturen sich keineswegs immer „höherentwickelt“ haben, sondern durch zu geringe, verfehlte oder „übertriebene“ Anpassungsprozesse untergingen. Seit Jahrzehnten sind Gefahren aus naturgegebenen oder gesellschaftlich bewirkten Veränderungen in den Lebensbedingungen der gegenwärtigen Kultur(en) benannt. Die Gefahr zu geringen bzw. zu späten oder den gewünschten Zweck verfehlenden Anpassungsverhaltens der Menschheit durch strukturelle Anpassungsunfähigkeit ist brisant.
W.Weiler – 03.08.11