AULA.2013-04-03

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Offener Brief vom 03.04.2013 an die Stadträte aller Fraktionen zum geplanten Ausbau des Elster-Saale-Kanals

Betreff: Umweltdezernat möchte Zustimmung des Stadtrates zum Elster-Saale-Kanal!

Sehr geehrte Damen und Herren Stadträte!

Im Juni 2012 hat sich NuKLA mit einem Schreiben an Sie gewandt, vergeblich.

Nun setzt sich das im Schreiben skizzierte Szenario fort: Nach dem Willen des Umweltdezernates (sic!) sollen Sie sich nunmehr verbindlich zum großdimensionierten Weiterbau des Elster-Saale-Kanals bekennen, dem dann unweigerlich der Ausbau der Auwaldgewässer, wie von NuKLA befürchtet, folgen wird, da ansonsten die geplanten Investitionen völlig sinnlos wären.

Wir empfinden das Vorgehen des Umweltdezernates als sehr bedrohlich für den Fortbestand des Leipziger Auwaldes, diesem einmaligen urbanen Auenökosystem, das er noch ist. Die genannte Beschlussvorlage würde das fachlich hochumstrittene und auch in Ihren Reihen nicht einheitlich akzeptierte Wassertouristische Nutzungskonzept sozusagen durch die Hintertür umsetzen. Als der Weisheit letzter Strohhalm setzt man, trotz wachsender und inzwischen durchaus ernst zu nehmender Einwände, immer weiter auf "Wachstum", ein zunehmend in die inhaltliche Kritik geratender Ansatz.

In dem Artikel Großprojekt Elster-Saale-Kanal: Umweltdezernat möchte jetzt gern die Zustimmung des Stadtrates, l-iz, 31.03.2013, wird aufgezeigt, wie viel Geld für diese äußerst fragwürdige Zukunftsentscheidung in die Hand genommen wurde und auch noch genommen werden muss, um ein Konzept zu realisieren, das sowohl per se, als auch bei Überprüfung der Details mit gesundem Menschenverstand als wenig realistisch einzuschätzen ist.

Zudem schämen sich die Verantwortlichen nicht, derart ignorant mit dem mehrfach erklärten Bürgerwillen bzw. -unwillen umzugehen. Zwar wurde in der Öffentlichkeit immer wieder betont, man wolle keine bezinbetriebenen privaten Motorboote in den Auwaldgewässern - gleichzeitig werden aber um den Auwald herum mit nichtverantwortbar großem finanziellen Aufwand Bedingungen geschaffen, die weit über eine Nutzung der Gewässer mit nur muskelbetriebenen und gewässerangepassten Booten hinausgehen.

Wer wird am Ende die politische Verantwortung für das Scheitern dieser hochfliegenden, in keinster Weise mit realistischen Zahlen unterlegten Pläne für kraftstoffbetriebenen Massentourismus übernehmen?

Seit Juni 2011 kommunizieren wir eine Alternative zur Stärkung des Standortes Leipzig bezogen auf den Tourismus und den Umgang mit dem einmaligen urbanen Auenökosystem Leipziger Auwald, leider mit wenig Resonanz von Seiten der Stadt Leipzig. Über 11.200 Leipziger BürgerInnen und ihre Gäste haben sich im Rahmen einer Petition 2012 gegen eine Motorisierung auf den Leipziger Auwaldgewässern ausgesprochen!

Was stattdessen geschieht: Kaum sind die OBM-Wahlen vorbei, bekennt der OBM sich öffentlich zum Harthkanal-Durchstich. Schnellstmöglich soll er nun gebaut werden, er habe Priorität. Seit der Cospudener See in Betrieb ist, gibt es an der Südspitze ein Vogelschutzgebiet, eine Sperrzone für jedweden Boots-, Bade- und Surfverkehr. Dorthinein wird nun der Harth-Kanal münden, steht doch seit Beginn im WTNK festgeschrieben: "Es ist eine durchgängige Schiffbarkeit herzustellen". Mit unzähligen weiteren Beispielen könnten wir aufzeigen, wie mit dem erklärten Willen der Bürger und der Natur, die doch auch für zukünftige Generationen lebensnotwendig ist, umgegangen wird.

Wir halten es darüber hinaus für unverantwortlich, jetzt ein solches Mammutprojekt, wie das Ihnen vorgelegte, zu beschließen, ohne dass die Folgen für uns und unsere Enkel ausreichend beleuchtet wurden!

Gründe, die gegen eine Zustimmung des Stadtrates sprechen könnten, auf einen Blick:

I. allgemeine Gründe

  • Wachstum ist begrenzt. In der Evolution haben diejenigen Spezies überlebt, die in der Lage waren, sich in kürzester Zeit auf aktuelle Bedingungen einzustellen, während diejenigen, die - trotz veränderter Bedingungen - nur weitermachen konnten wie bisher, ausgestorben sind.
  • Ressourcen sind begrenzt. Wollen wir unseren Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen, wird das nur gelingen können, wenn wir das System Erde als Ganzes betrachten. Derzeit verbrauchen 20% der Weltbevölkerung (wir) 80% der Weltressourcen.
  • Es ist bekannt und hinlänglich seriös nachgewiesen, dass in Deutschland mit Großprojekten im nichtinnovativen Bereich keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden können: es handelt sich immer nur um Arbeitsplatzverlagerungen von Standort A nach B. Was also Leipzig mehr Arbeitsplätze bringen würde - wäre es denn überhaupt so -, würde an einem anderen Standort verloren gehen. Auch hier wäre eine Sicht über den eigenen Tellerrand hinaus deutlich zukunftsorientierter.
  • Leipzig kann weder historisch, noch tourismuswirtschaftlich mit anderen Seen-Verbünden als Tourismusstandort konkurrieren, die im Übrigen längst, dem allgemeinen Trend folgend, z.T. nach leidvollen Erfahrungen mit den Schäden, die PS-starker kraftstoffbetriebener Motorsport an und in den so benutzten Gewässern anrichtet, auf einen sanften, naturverträglichen Tourismus setzen.

II. Spezielle Gründe

  • Eine bereits 2002 erstellte und in den Schubladen der Stadt verschwundene Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zum WTNK bescheinigt diesem keine nennenswerten wirtschaftlichen Effekte selbst bei ganzjährigem (!) Betrieb; lediglich für die stadtarchitektonische Aufwertung von Leipzig könne das Befahrbarmachen der Gewässer eine Rolle spielen (Wirtschaftlichkeitsuntersuchung Wassertourismus im Fließgewässersystem und in der Seenlandschaft der Region Leipzig, Dezember 2002, Deutsche Marina Consult DMC). Daran ändert auch die durch die Stadt für zusätzliches Geld in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie nichts, die dieses GA widerlegen soll.
  • Die im WTNK geplante Verbindung für große Fahrgastschiffe und Yachten von der Whyra bis nach Hamburg, ohne welche die gesamte Planung wirtschaftlich vollkommen unsinnig ist, steht nicht zur Disposition, da auf Bundesebene der Bau des dafür notwendigen Saale-Kanals abgelehnt wurde.
  • Die in der öffentlichen Diskussion "gehandelten" Kosten für das geplante Großprojekt E-S-K belaufen sich in Summe auf bisher 106 Mill. Euro. Nicht berücksichtigt wurden 45 Mill. Euro für den Ausbau der wasserseitigen Infrastruktur: zusammen 151 Mill. Euro. Seriöse Kostenschätzungen für Projekte dieser Größenordnung werden mit einem Aufschlag von 40% bedacht und damit annähernd in die Nähe der Realität gebracht - damit wären wir in diesem Falle bereits bei 211 Mill. Euro. Nicht berücksichtigt sind dabei Investitionsfolgekosten (z.B. für dann notwendigen landseitigen Infrastrukturausbau) und Unterhaltungskosten für die Anlagen (die Leipziger Schleusen werden derzeit von ungelernten 1-Euro-Kräften, finanziert von der Agentur für Arbeit also, bedient; diese Art der Finanzierung ist weder solide, noch dürfte sie bei einem wie dem geplanten Schiffshebewerk möglich sein). Die Zahlen (V-ds-2851-anlage2.pdf) für die fantasierten Einnahmen sind ebenfalls schöngerechnet, nicht belegt und verschleiern das wahres Ausmaß der Steuerverschwendung.
Siehe dazu auch o.g. Artikel l-iz, 31.03.2013.
  • Für eine Refinanzierung der bisher berücksichtigten Investitionen (s.o.) geht man von deutlich mehr als 1.000 Bootbewegungen an jedem Kalendertag des Jahres aus. Schiebt man diese Zahlen auf die möglichen Tage einer Saison zusammen, berücksichtigt gar noch Wochen- und Wochenendtage, wird schnell klar, wie unrealistisch diese Rechnung ist.
  • Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass durch den Klimawandel die Winter in Mitteleuropa länger, kälter und schneereicher werden (siehe Studie der Forschungsstelle des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft), was die Chancen für wirtschaftlichen Ertrag zusätzlich reduzieren wird.

III. Besondere Gründe

  • Mit dem Leipziger Auwald verfügt Leipzig über ein Alleinstellungsmerkmal erster Güte: es gibt europaweit kein anderes, derartig großes urbanes Auenökosystem wie ihn.
  • Um ihn in seiner Einzigartigkeit und ökologischen Spezifik zu erhalten, bedarf es deutlich vermehrter Bemühungen, um allein die seit langem stattfindende schleichende Entwertung zu verhindern.
  • Eine Umsetzung des WTNK, wie mit der Beschlussvorlage vorangetrieben, wird dazu führen müssen, dass die Gewässer des Leipziger Auwaldes zu Transfergewässern für die genannten bis zu 45 m langen Fahrgastschiffe und Yachten ausgebaut (vertieft, begradigt, befestigt) werden müssen und der Auwald als solcher verkommt: Es ergibt keinerlei Sinn, dass 211 Mill. Euro im Norden von Leipzig für eine Schiffbarkeit dieser Größenordnung investiert werden, wenn die Seen im Süden von Leipzig dafür nicht zur Verfügung stehen - eine Verbindung ist aber nur über die Gewässer des Auwaldes möglich!
  • Das wird entsprechend weitere (bisher nicht in die Debatte gebrachte) hohe Investitionen zur Folge haben.
  • Bis dato wurden von den Verantwortlichen keinerlei Alternativen zu einem grandiosen Ausbau für 45 m lange, große Schiffe und Yachten auch nur in Erwägung gezogen, geprüft und gar zur Disposition gestellt, die eine naturverträgliche, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Nutzung der in Leipzig und seinem Umland glücklicher Weise bestehenden Gegebenheiten vorsehen. Statt dessen soll ein Modell auf Biegen und Brechen und, wie es scheint, um JEDEN Preis durchgesetzt werden: das kann nicht die Art von Entscheidungsfindung in einem demokratischen Stadtparlament sein, für die die LeipzigerInnen vor 24 Jahren auf die Straße gegangen sind. Wesentliche Triebkraft der politischen Umwälzungen damals war auch der gnadenlose Umgang der DDR mit der Natur und dessen Auswirkungen auf die Menschen. 1992 haben zehntausende BürgerInnen die Einstellung des Tagebaus Cospuden erzwungen und damit den Rest des Leipziger Auwaldes gerettet, der ansonsten planmäßig ebenfalls der Braunkohlegewinnung zum Opfer gefallen wäre. Dieser verbliebe Auwald scheint nun nur noch als Kulisse für eine einträglichfantasierte wirtschaftliche Nutzung mit kraftstoffbetriebenem Motorsportmassentourismus herhalten zu sollen - ungeachtet seines kostbaren ökologischen Wertes für die Lebensqualität der Menschen in der Region und seiner Bedeutung als einzigartiger Hort der Biodiversität mitten in einer Großstadt.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir bitte Sie eindringlich, die hier aufgeführten Argumente zu prüfen - sowohl mit geschäftmännischem Verstand, als auch mit Ihrem Herzen: Mit der Annahme oder Ablehnung dieser Vorlage werden Sie eine Entscheidung treffen, deren Folgen für uns und kommende Generationen absolut nicht abschätzbar sind: Man kann Leipzig auch anders lukrativ für InvestorInnen, potentielle BewohnerInnen und Gäste in die Zukunft bringen!

Deshalb laden wir Sie auch erneut ein, sich unserem Bürgerprojekt "AULA-Projekt 2030. Das grüne Band entlang der Weißen Elster" anzuschließen! Sie als Bürger(!)Vertreterinnen haben es in der Hand, zu bestimmen, in welche Richtung Leipzig sich entwickeln wird, wofür Steuergelder (unabhängig davon, aus welcher Quelle sie stammen) in unserer Stadt eingesetzt werden!

Siehe auch: Wohin treibt das Neuseenland? Olaf Maruhn schreibt einen gewürzten Brief an seine einstigen Genossen, l-iz.de, 23.04.2012

Für weiterführende Gespräche stehen wir wie gehabt jeder Zeit zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen!

Wolfgang E. A. Stoiber, Vorsitzender
NuKLA - Naturschutz und Kunst, Leipziger Auwald e. V.