Attac.DenkTankStelle.2012-08-06

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DenkTankStelle von Attac-Leipzig

Thema: Postmoderne
Ort und Zeit: Mo, 06. August 2012, 19 Uhr im Café Grundmann

Ankündigung

Da sich die Postmoderne über ihre Vorgängerin – die Moderne – definiert, wird die Frage auftauchen, was wir eigentlich unter der Moderne verstehen. Ich sehe den Beginn der Moderne mit der Auflösung feudalistischer Verhältnisse und Denkweisen schon im 17. Jahrhundert. Als Kernstück entwickelte sich daraus die bürgerliche Gesellschaft mit ihren kapitalistischen Fundamenten sowie dem kolossalen Gebäude der "Aufklärung" und dem damit verbundenen Wertesystem. Das damit nicht die derzeitige Phase der bürgerlichen Gesellschaft beschrieben wird, liegt auf der Hand.

Es ist kein Zufall, dass die "Verteidigung der Aufklärung" als wichtige heutige Aufgabe besonders linker Strömungen angesehen wird. Irgendwo fand ich als einen Schlachtruf der Postmoderne die Behauptung vom Ende der "großen Erzählungen", worunter u.a. auch die Aufklärung gerechnet wurde. (Seit der letzten DTS sprechen wir natürlich nur noch von "Big storytellings").

Unstrittig leben wir nicht erst seit heute in einer Zeit der großen Infragestellungen des Wertesystems der Aufklärung. Und es gibt nicht wenige, die meinen, dass die Notwendigkeit der Postmoderne sich aus der Notwendigkeit der Beseitigung der bürgerlichen Zöpfe - die als Hemmnis für die weitere Ausdehnung und Sicherung kapitalistischer Verhältnisse angesehen werden - resultiert.

Aber ist die Postmoderne nicht auch der Aufbruch in ein großes "Reich der Freiheit", wie wir es uns gewünscht haben? Genießen wir nicht den Pluralismus mit seinem: "Alles ist möglich!" und nutzen wir ihn nicht weidlich, wenn wir uns seiner zu bedienen wissen?

So kann wohl die Postmoderne als ein emanzipatorischer Fortschritt für jeden Einzelnen als auch als Gefährdung für ein tradiertes, positives Wertesystem als auch als ein subtiles Werkzeug zur Durchsetzung kapitalistischer bis neo-liberaler Interessen angesehen werden.

Johannes Schroth, 24.07.2012

Ein paar Gedanken vorab

Nachdem Johannes im Nachgang zur letzten DTS meinen dort arg diskreditierten Begriff des "Storytelling" rehabilitiert hat und sich selbst als "Storyteller" outete, soll es nun wohl im um die Frage der "postmodernen Beliebigkeit" dieses unseres Storytellings gehen. Ich bin gespannt, ob dabei das beim letzten Mal komplett unter die Räder geratene Thema der "Bedingtheit" derartigen postmodernen Storytellings (was unsere Runde ja exzellent praktiziert) nunmehr eine Rolle spielt.

Die gepflegte Ahistorizität "postmodernen" Storytellings ist vielfach konstatiert worden, so etwa auch von mir in These 10 der Chemnitzer Thesen:

Das Computerzeitalter wird gern als Postmoderne bezeichnet. Dies suggeriert einen herausgehobenen Charakter der Fließbandgesellschaft als Moderne, der einem ahistorischen Blick auf Entwicklung entspringt. Bereits Kondratjew hat die wellenförmige Verschränktheit von Wissenschafts- und Produktivkraftentwicklung herausgearbeitet, in deren Verlauf wichtige Basisinnovationen revolutionierend auf die Produktionsorganisation durchschlagen. Deren zeitliche Dimension lässt vermuten, dass wir uns heute am Beginn einer neuen Kondratjew-Welle befinden, dem Post-Computerzeitalter.

Ich muss dies hier nicht weiter ausführen, denn interessierte Leserinnen und Leser kann ich auf den Abschnitt "1. Das beginnende Post-Computerzeitalter" meines inzwischen 7 Jahre alten Aufsatzes zur "Macht des Wissen in der (allerdings nur - HGG) modernen Gesellschaft" verweisen.

Hans-Gert Gräbe, 5.7.2012

Anmerkungen und Verweise

  • Wolfgang sieht in dem Zusammenhang einen 'asozialen Freiheitsbegriff'
  • Prosumtion als Teil der "Post-Moderne"? Ja, laut einer Grafik aus dem Web, die die Unterschiede zwischen Moderne und Postmoderne beschrieb.

--RedTeddy 21:00, 1. Aug. 2012 (CEST)

  • Speziell die erste Hälfte aus: Welch friedliche Zeiten! Buchrezension. Über Professor Steven Pinkers Sozialmärchen vom Rückgang der Gewalt. Von Werner Seppmann. In: „junge Welt“ vom 2. August 2012
Ein Auszug daraus - Zitat: "Der ganze bunte Reigen modephilosophischer Orientierungen, die einen wesentlichen Einfluß in den kulturellen Reproduktionssphären haben, weitgehend die geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen an den Universitäten dominieren, auch schon tief in linke Diskussionen eingedrungen sind, wird in der ersten Etage präsentiert. Sie firmieren unter diversen Bezeichnungen, nennen sich Dekonstruktivismus, Genealogie oder Poststrukturalismus. Sie alle verbindet eine Haltung der Unentschiedenheit, die gut in eine Zeit allgemeiner Unsicherheit und Orientierungslosigkeit paßt. Es handelt sich um Unterabteilungen eines »postmodernen Denkens«, dessen intellektueller Kitt in der Überzeugung besteht, daß alle Versuche menschlicher Selbstemanzipation gescheitert seien. Man vermeidet sich festzulegen, schwelgt in der Ambivalenz und Unentschiedenheit, läßt nur Selbstbezüglichkeit gelten und nennt es dann Anti-Essentialismus. »Pluralität« fungiert als Kampfbegriff. In dessen Windschatten werden objektivierende Erkenntnisanstrengungen als anmaßend kritisiert und die Vorstellung diskreditiert, daß die kollektiv handelnden Menschen ihre Lebensverhältnisse selbst gestalten könnten."
  • Werner Seppmann, Die Unordnung der Dinge, Wider die Gegenaufklärung: Ein Sammelband über den Beitrag »Postmodernen Denkens« zur Barbarisierung der Gesellschaft. Aus: „junge Welt“ vom 10. Januar 2011
Ein Auszug daraus - Zitat: "Obwohl »Postmodernes Denken« als konzeptionelle Ideologie seinen Zenit überschritten hat, besitzen seine grundlegenden Orientierungen, auch in »kulturlinken« Kreisen großen Einfluß. Als Inbegriff kann hier theoretische »Subversivität« gelten. Hinter einer verwirrenden Vielfalt von Selbstetikettierungen (Postmoderne als Oberbegriff und davon abgeleitet Dekonstruktivismus, Poststrukturalismus, Genealogie, Postmarxismus etc.) verbirgt sich der Zweifel, daß innerhalb des sozialen Geschehens noch Ursachenkomplexe und Wirkungszusammenhänge erkannt werden können. Mit der »Unerkennbarkeit«, wird die Vorstellung einer Unveränderbarkeit der Welt mitgesetzt und dabei gleichzeitig »Wissen« auf die Dimension subjektivistischer Selbstgenügsamkeit reduziert. In unterschiedlicher Intensität gelingt den Autoren des Bandes der Nachweis, daß es mit den kritischen Selbstzurechnungen nicht weit her ist. In den meisten Fällen handelt es sich beim »Postmodernen Denken« um eine (wenn in der Regel auch indirekte) Apologie herrschender Verhältnisse, die als Funktionselement eines ebenso intellektuellen, wie »lebensweltlichen« Irrationalismus die kulturelle Barbarisierung fördert. Mit absolutem Geltungsanspruch wird die »Wahrheit« verbreitet, daß es keine Wahrheit gäbe, also auch die von den herrschenden Verhältnissen produzierten Selbsttäuschungen undurchdringbar seien: Eine Unterscheidung von Schein und Wesen, Wahrhaftigkeit und Lüge sei mittlerweile unmöglich geworden."
auf amazon.de steht zu dem oben rezensierten Buch: "Die postmoderne Philosophie ist nichts anderes als "das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie." (Adorno). - O,Oh!! 23:05, 2. Aug. 2012 (CEST)

Vorsichtiges Fazit: Postmoderne? Das ist nicht wirklich ein Attac-Thema! --RedTeddy 22:54, 2. Aug. 2012 (CEST)

"Wie kann sich eine Gesellschaft modern nennen, in der Auschwitz geschehen konnte?" (sinngemäß Adorno). Ich denke, Begriffsarbeit wäre (Konjunktiv!) ein sehr zentrales Attac-Thema -- hgg 05.08.2012

Postmoderne – ein paar Bemerkungen

In der Debatte vorab hieß es immer schnell "Ich lehne Moderne und Postmoderne als Kategorien etc. pp. zur Beschreibung von gesellschaftlichem was-auch-immer ab!" Das geht mir persönlich zu fix! Ich finde es schon wichtig und notwendig, die Geschichte dieser kulturell-philosophisch-politischen Bewegung genauer kennenzulernen, nicht zuletzt deshalb, weil offensichtlich postmodernes Gedankengut in allen Bereichen anzutreffen ist, obwohl der Begriff selbst kaum noch in den Feuilletons, Talkshows etc. auftaucht.

Zur Erhellung folgendes Beispiel aus der Wissenschaft: Der Sokal-Jux

Alan Sokal, ein amerikanischer Physiker an der New York State Universität, reichte 1996 einen Artikel "Transgressing the Boundaries: Toward a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity" bei dem angesehenen Soziologen-Journal "Social Text" ein, der ohne Einwände veröffentlicht wurde. Die Herausgeber wurden damit arg blamiert, denn Sokals hochwissenschaftliche Unterstützung postmoderner Positionen war ein Scherz, nichts weiter.

Sein „Experiment mit den Sozialwissenschaften“ funktionierte so gut, weil er voll auf die postmoderne Ideologie einging und sie mit gewolltem Unsinn anreicherte, was die Herausgeber der Zeitschrift „Social Text“ offenbar nicht bemerkten. Er bestärkte sie in der üblich gewordenen Weise, das „altmodische Dogma von einer objektiven Realität“ lächerlich zu machen. Er tat so, als ob er als Physiker das ganz genauso sehen würde. Die physikalische und soziale Welt seien nur linguistische bzw. soziale Konstrukte. Das Ganze gipfelte in der Behauptung, die Zahl Pi und die Gravitationskonstante g (Newton) zeigten eine „unablösbare Historizität“.

-- Alles Unfug! Aber es war offensichtlich: solcher Unsinn wurde von angesehenen Wissenschaftlern für bare Münze genommen. Sokal zeigte damit, dass die drei philosophischen Auffassungen der Postmoderne, der Antirealismus, der Relativismus und die Widerlegung des Objektivismus zu einer postmodernen Ideologie erstarrt waren, an deren Verbreitung anscheinend derart großes Interesse bestand, dass sogar die wissenschaftliche Redlichkeit geopfert wurde, wenn nur diese Ideologie Unterstützung erfährt, vor allem, wenn ein ausgewiesener Physiker sich für sie stark machte.

Wenig später formulierte Sokal zusammen mit dem Physiker Jean Bricmont in dem Buch:

Eleganter Unsinn - Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen, München 1999 (C.H.Beck)

eine vernichtende Kritik an einer Reihe hervorragender Denker der Postmoderne (Jacques Lacan, Julia Kristeva, Luce Irigaray, Bruno Latour, Jean-François Lyotard, Jean Baudrillard, Gilles Deleuze, Félix Guattari und Paul Virilio).

Sie stellten fest, dass die Vertreter der Postmoderne immer wieder versuchen, Namen und Begriffe aufzusaugen, um sie irgendwann wieder auszuspucken. Der Zweck ihrer Sprache ist Popanz. Jacques Lacan z.B. versuchte als Psychoanalytiker naturwissenschaftliche Begriffe (im speziellen aus der Mathematik, er war Fan imaginärer Zahlen) heranzuziehen, um sie in seine Analyse einzubauen und verwendete dabei – wie Sokal nachwies – falsche Terminologien. Baudrillard wurde angeführt: „Die modernen Kriege finden im nicht-euklidischen Raum statt“ (...) dabei „importiert er aus den Naturwissenschaften Begriffe, ohne diesen Import zu rechtfertigen“. Sinn und Zweck solcher Versuche ist die Vernebelung von Analysen.

Wieso ist dieser Jux für uns wichtig?

Zitat (Zeit Online Feuilleton, Dirk Baecker | 07. März 1997 - 13:00 Uhr)

Sokal hat seinen Text nach eigener Darstellung nicht geschrieben, um die naturwissenschaftliche Haltlosigkeit humanwissenschaftlicher Vorlieben zu denunzieren. Worum sich Ethnologen, Psychoanalytiker, Philosophen und Anglisten streiten, hat einen Physiker oder Chemiker noch nie interessiert, wenn er es überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Ausnahmen bestätigen die Regel. Nein, Sokal hatte sich vor allem darüber geärgert, daß poststrukturalistische, dekonstruktive und sozialkonstruktive Wissenschaftsauffassungen das Projekt der Linken gefährden. Denn sobald man beginnt, objektive Wahrheiten, logische Argumentationen und natürliche Fakten in Zweifel zu ziehen, gibt es nichts mehr, worauf sich Minoritäten in ihrem Kampf gegen gesellschaftliche Unterdrückung berufen können. Sie könnten sich, so wohl die Befürchtung, nur noch auf ihren Kampf berufen, aber nicht mehr auf eine moderne Gesellschaft, die bestimmte universelle Normen der Wahrheit und Gerechtigkeit pflegt, an denen diese Gruppen teilzunehmen versuchen wie alle anderen auch.

Zitat (Conne Island 2007, Zweckkollektiv „PoMo“: Schluss mit Postmoderne und Poststrukturalismus):

Wenn es um Postmoderne geht, dann geht es um wirklich gefährliche, undisziplinierte Theorien, die der Linken den Garaus zu machen drohen. „Ihre Abneigung gegenüber Konzepten wie Solidarität und disziplinierte Organisation, ihr Mangel an einer adäquaten Theorie des politischen Handelns: All dies würde entschieden gegen sie sprechen. Die Linke braucht im Kampf gegen ihre politischen Gegner starke ethische und sogar anthropologische Begründungen; nur dies wird uns die politischen Ressourcen verschaffen, die wir brauchen. Und in dieser Hinsicht ist das postmoderne Denken letztlich nicht die Lösung, sondern Teil des Problems“ (Terry Eagleton, Die Illusionen der Postmoderne, S. 178f.)

Mein Fazit:

Auch ich lehne die Postmoderne „als Teil des warenhausgrossen bürgerlich-(kapitalistischen) Legitimationsdenkens“ ab. Für mich ist die PM vor allem eine Ideologie zur Stabilisierung kapitalistischer Verhältnisse. Es hat „etwas mit der (Lebens)-Realität von Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller, also auch mit mir, zu tun“, weil mit dieser herrschenden Ideologie der gesellschaftliche Widerstand gegen den Kapitalismus und das Engagement für eine andere Welt fragmentiert und paralysiert wird!

Andreas Schierwagen, 05.08.2012