WAK.2009-09-07

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Marx' Kritik des Gothaer Programms im Licht der heutigen Krisenprozesse
Einführung in die Diskussion: Hans-Gert Gräbe
Veranstaltung des Gesprächskreises Wege aus dem Kapitalismus und der AG Diskurs
Montag, 07.09.2009, 18:30 Uhr, Bürgerverein Volkmarsdorf, Konradstraße 60a.

Ankündigung

Paul Frost schreibt dazu am 17.06. auf 'leipziger-linke'

Hallo Diskursler,
in der letzten Diskussionsrunde wurde von einigen Teilnehmern der Wunsch geäußert, einmal Gedanken über Kommunismusvorstellungen auszutauschen.
Der erste Schritt für eine solche Diskussion wäre die Kenntnisnahme von Karl Marx "Kritik des Gothaer Programms" (Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei). Im Mittelpunkt der Arbeit stehen u. a. die Auseinandersetzung mit der Behauptung: "Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur" und das Problem Demokratie und Staat [IV]

Valeri Götz ergänzte:

Ich denke, Paul weist auf wichtige Gedanken von Karl Marx hin, die er in der "Kritik am Gothaer Programm" äußert. Man sollte sich damit auseinandersetzen. Ich kann aus den Marxschen Darlegungen entnehmen, dass der gesellschaftliche Entwicklungsprozess ein sehr langwieriger Prozess ist, der, obwohl er gesetzmäßig ist, das bewusste Handeln der Menschen für diesen Prozess voraussetzt.
Innerhalb der Partei DIE LINKE liegen sowohl die Realos als auch die Fundis meiner Meinung nach nicht ganz richtig. In Hinsicht auf die gesellschaftliche Entwicklung kann man nichts übers Knie brechen, aber man darf sich auch nicht mit der gegenwärtigen Situation abfinden, sondern man sollte unbedingt nach machbaren Möglichkeiten zur Überwindung von Widersprüchen suchen.

Ich weise dazu weiter auf die neuen Seiten von WAK Berlin und die dort ausgetragene Kontroverse zu diesem Thema hin.

Hans-Gert Gräbe, 09.07.2009

Quellen:


Paul Frost meint am 27.07.2009

Ein Blick in den Beitrag:

in Vorbereitung der "Diskussion um Marxens 'Kritik des Gothaer Programms'" und seine Überlegungen dort zu Charakter und Dauer der anstehenden Umwälzungen könnte nicht schaden.


Außerdem plant WAK Berlin für den 11.-13.9.2009 ein Wochenendseminar zum Thema "Philosophische Spekulation – Wissenschaft – konkrete Utopie? Zur Zeitbezogenheit marxistischer Kommunismusvorstellungen"

Dies könnte Stoff für weitere Treffen unsererseits im Herbst 2009 geben. -- HGG

Berichte

In meinen einleitenden Ausführungen kam ich noch einmal darauf zurück, was zur Wahl des Themas geführt hatte - sich über Kommunismusvorstellungen auszutauschen und dazu Marx' "Kritik des Gothaer Programms" als Ausgangspunkt zu nehmen.

In der Kritik am Gothaer Programm stoßen zwei Kommunismusvorstellungen aufeinander - die aktuellen Marxschen (der "Kommunisten") und diejenigen der inzwischen erstarkten Arbeiterbewegung (der "Sozialdemokraten"). Auch wenn dies zu jenem Zeitpunkt noch nicht ausgeprägt war und das Verhältnis zwischen beiden theoretischen Linien eher dem zwischen "Vordenkern" und "Basis" bzw. "Funktionären" entspricht - hier ist bereits die Grundlage des Schismas der Linken im 20. Jahrhundert zu sehen. Diese Doppellinie lässt sich leicht bis zum "Kommunistischen Manifest" zurückverfolgen, in dem dezidiert das Verhältnis von "Bourgeoisie und Proletarieren" als reaktionärer und fortschrittlicher Klasse sowie "Proletariern und Kommunisten" als Klasse und Avantgarde thematisiert wird.

In meinen weiteren Ausführungen - die von einigen Mitdiskutierenden als am Thema vorbei betrachtet wurden - ging ich zurück zu Marxschen Kommunismusvorstellungen noch vor Beginn der 1848er Jahre, die sich im Kreis der Junghegelianer in den Auseinandersetzungen mit Hegel formierten und in der "Deutschen Ideologie" (MEW 3) ihre klarste Ausprägung fanden, auch wenn das Buch in der heute bekannten Form nicht auf Marx zurückgeht, sondern dieser später eher froh war, die damaligen Manuskripte "der nagenden Kritik der Mäuse" überlassen zu haben.

Dort wird zum Ende des Feuerbach-Teils Kommunismus als "Produktion der Verkehrsform selbst" entwickelt, in der "alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen" unterworfen werden. Kommunismus in diesem Verständnis ist also ein Phänomen, das alle Menschen betrifft und an dem alle Menschen beteiligt sind.

Der spätere Ansatz, den Weg in eine solche Gesellschaft durch eine spezielle Klasse oder gar deren Vorhut zu "erzwingen", verlor - wenigstens in den Praxen seiner realsozialistischen Ausprägungen des 20. Jahrhunderts - dieses allgemeine emanzipatorische Ziel aus den Augen. Der Grund ist sicher auch darin zu suchen, dass in diesen Ansätzen - wie auch beim späteren Marx - viel vom Hegelschen Staatsverständnis erhalten geblieben ist, das bereits bei einigen Junghegelianern fundamental kritisiert wurde - allen voran von Stirner in seinem Hauptwerk "Der Einzige und sein Eigentum". Der Anarchismus als eine weitere Strömung in der Arbeiterbewegung, die hier ihren Ursprung hat, wurde von Bürgerlichen, Kommunisten und Sozialdemokraten gleichermaßen bekämpft. Mehr dazu findet sich in den Berichten zu Veranstaltungen von WAK Leipzig am 28.11.2006, 22.03.2007 und 22.06.2007.

Als logische Konsequenz sollte man also wohl von "Kommunismen" im Plural sprechen, wenn man konkrete Ausprägungen aktueller Kommunismus-Vorstellungen analysiert. Allen gemeinsam scheint zu sein, dass sie das Emanzipationsideal des (u.a.) frühen Marx in einer konkreten Umbruchsituation der kapitalistischen Produktionsweise auf je spezifische Weise artikulieren, die mehr durch die Charakteristika des jeweiligen Umbruchs geprägt ist als durch das allgemeine emanzipatorische Ziel. Kommunismen als praktische Utopien entwickeln dabei eine mobilisierende Kraft, die jeweils anstehenden Umwälzungen innerhalb dieser kapitalistischen Gesellschaft zu Ende zu bringen. Kommunismus als Utopie einer emanzipatorischen Gesellschaft ist dagegen ein längerfristiges Projekt, welches die gesamte Gesellschaft umfasst und an dem ausnahmslos alle Menschen beteiligt sind. Siehe dazu auch die Ausführungen in (Herfurth 2009).

Damit ist aber der Ansatz einer sozialistischen, diese kapitalistische Gesellschaft transzendierenden Übergangsgesellschaft auf den Prüfstand zu stellen. Vielleicht ist vielmehr diese kapitalistische Gesellschaft selbst diese Übergangsgesellschaft, in der mit jeder neuen Umwälzung der Produktionsverhältnisse - von Marx als charakteristisch für die kapitalistische Gesellschaft herausgearbeitet - neue emanzipatorische Potenziale freigesetzt werden.

In der folgenden Diskussion ging es vor allem um eine genauere Charakterisierung der ökonomischen Verhältnisse dieser Gesellschaft. Ausgangspunkt war der Streit um Begrifflichkeiten, die in einer Debatte mit Flori auf der Liste 'leipziger-linke' im Kontext kommunaler Betriebe durchdekliniert worden waren. Besonders kontrovers wurde meine These diskutiert, dass die Ausbeutungsverhältnisse in dieser Gesellschaft nicht personalen, sondern strukturellen Charakter tragen.

Damit ist es auch nicht hilfreich für eine Kommunismusdebatte, die ökonomischen Verhältnisse direkt als Ausbeutungsverhältnisse zu charakterisieren, sondern genauer zu verstehen, dass sich die Ausbeutungsverhältnisse (nicht nur, aber) auch durch die ökonomischen prozessieren. Insbesondere wird damit deutlicher, welche Rolle der Mehrwert im ökonomischen Gefüge spielt, wo genau die Stellschrauben sind, die Mehrwert zu einem Instrument von Ausbeutung machen, und warum bereits in dieser Gesellschaft Unternehmen in öffentlichem Eigentum trotz "normalen Managements" eine andere Rolle spielen können als rein privatwirtschaftliche.

Die Debatte um die Angemessenheit einer Betrachtung der ökonomischen Verhältnisse dieser Gesellschaft als "Raubverhältnis", als "Abzug am Arbeiter", wie dies bei Marx durchweg geschieht, hat eine lange Geschichte in der Marx-Rezeption, siehe etwa (Ruben 1998).


Hans-Gert Gräbe, 10.09.2009